Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Abschaffung des einmonatigen Aufschubs mit Übergangsregelung
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 17 und 18 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung wie der durch das Gesetz Nr. 93-859 vom 22. Juni 1993, Haushaltsberichtigungsgesetz für 1993, eingeführten Übergangsbestimmung, die die Aufhebung einer nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. d dieser Richtlinie erlaubten nationalen Ausnahme begleiten soll, nicht entgegenstehen, sofern vom nationalen Gericht überprüft wird, ob diese Maßnahme im Einzelfall die Wirkungen der nationalen Ausnahmevorschrift einschränkt.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 17, 18 Abs. 4
Beteiligte
Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie |
Verfahrensgang
Tribunal administratif de Lyon (Frankreich) (Urteil vom 05.09.2006; Abl.EU 2006, Nr. C 281/25) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Recht zum Vorsteuerabzug ‐ Grundsätze des sofortigen Abzugs und der steuerlichen Neutralität ‐ Vortrag des Überschusses der Vorsteuer auf den folgenden Zeitraum oder Erstattung ‐ Regel des einmonatigen Aufschubs ‐ Übergangsbestimmungen ‐ Aufrechterhaltung der Befreiung“
In der Rechtssache C-368/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal administratif de Lyon (Frankreich) mit Entscheidung vom 5. September 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 8. September 2006, in dem Verfahren
Cedilac SA
gegen
Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter), A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Cedilac SA, vertreten durch A. Bouzidi, avocat,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. September 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 17 und 18 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cedilac SA (im Folgenden: Cedilac) und dem Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Industrie) über den Antrag dieser Gesellschaft auf Verurteilung des französischen Staates auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die gesetzlichen Begleitmaßnahmen zu der Aufhebung der Regel des „einmonatigen Aufschubs“, die für den Abzug der Vorsteuer, mit der ein steuerbarer Umsatz belastet worden war, gegolten hat, entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 17 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor, dass „[d]as Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht“.
4
Art. 18 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„…
(2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt.
…
(4) Übersteigt der Betrag der zulässigen Abzüge den Betrag der für einen Erklärungszeitraum geschuldeten Steuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder ihn nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.
…“
5
Nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. d der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten während der in Art. 28 Abs. 4 genannten Übergangszeit „Bestimmungen, die von dem Grundsatz des in Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 vorgesehenen sofortigen Abzugs abweichen, weiterhin anwenden“.
6
Art. 28 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Die Übergangszeit wird zunächst auf fünf Jahre, beginnend mit dem 1. Januar 1978, festgelegt. Spätestens sechs Monate vor Ende dieses Zeitraums ‐ und später je nach Bedarf ‐ überprüft der Rat an Hand eines Berichts der Kommission die Lage, die sich durch die in Absatz 3 aufgeführten Abweichungen ergeben hat, um auf Vorschlag der Kommission einstimmig über die vollständige oder teilweise Abschaffung dieser Abweichungen zu entscheiden.“
Nationales Recht
7
Bis zum 1. Juli 1993 sah der Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) in Übereinstimmung mit...