Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Kapitalverkehr. Körperschaftsteuer. Besteuerung der Einkünfte aus im Gebiet eines Mitgliedstaats belegenen Immobilien. Ungleichbehandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Fonds. Steuerbefreiung nur der gebietsansässigen Fonds. Vergleichbarkeit der Situationen. Berücksichtigung der Steuerregelung für Anleger. Fehlen. Rechtfertigung. Erfordernis, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu gewährleisten. Erfordernis, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren
Normenkette
AEUV Art. 63
Beteiligte
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen gebietsfremde Spezialimmobilienfonds für Immobilieneinkünfte, die sie auf dem Staatsgebiet dieses Mitgliedstaats beziehen, teilweise körperschaftsteuerpflichtig sind, gebietsansässige Spezialimmobilienfonds hingegen von dieser Steuer befreit sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2020, in dem Verfahren
L Fund
gegen
Finanzamt D,
Beteiligter:
Bundesministerium der Finanzen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter P. G. Xuereb (Berichterstatter), T. von Danwitz und A. Kumin und der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des L Fund, vertreten durch Rechtsanwalt K. Rohde,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Martenczuk, W. Roels und V. Uher als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen L Fund und dem Finanzamt D (Deutschland) über die Körperschaftsteuerpflicht von L Fund in den Steuerjahren 2008 bis 2010 (im Folgenden: streitige Steuerjahre).
Rechtlicher Rahmen
Deutsches Recht
Rz. 3
§ 1 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes in seiner in den streitigen Steuerjahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: KStG) sieht vor:
„Unbeschränkte Steuerpflicht
(1) Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind die folgenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben:
…
5. nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts.”
Rz. 4
§ 2 Nr. 1 KStG bestimmt:
„Beschränkte Steuerpflicht
Beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind
1. Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, mit ihren inländischen Einkünften”.
Rz. 5
In § 1 („Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen”) des Investmentsteuergesetzes 2004 in seiner in den streitigen Steuerjahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: InvStG 2004) heißt es:
„Dieses Gesetz ist anzuwenden auf
- inländisches Investmentvermögen, soweit dieses in Form eines Investmentfonds im Sinne des § 2 Abs. 1 oder einer Investmentaktiengesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 5 des Investmentgesetzes [(im Folgenden: InvG)] (inländische Investmentgesellschaft) gebildet wird, sowie auf Anteile an einem inländischen Investmentvermögen (inländische Investmentanteile),
- ausländisches Investmentvermögen und ausländische Investmentanteile im Sinne des § 2 Abs. 8 und 9 [InvG].
…”
Rz. 6
§ 2 („Erträge aus Investmentanteilen”) InvStG 2004 sieht in Abs. 1 vor:
„Die auf Investmentanteile ausgeschütteten sowie die ausschüttungsgleichen Erträge und der Zwischengewinn gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes [(im Folgenden: EStG)] …”
Rz. 7
In § 4 („Ausländische Einkünfte”) Abs. 2 InvStG 2004 heißt es:
„Sind in den auf Investmentanteile ausgeschütteten sowie den ausschüttungsgleichen Erträgen aus einem ausländischen Staat stammende Einkünfte enthalten, die in diesem Staat zu einer nach § 34c Abs. 1 [EStG] oder § 26 Abs. 1 [KStG] oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer anrechenbaren Steuer herangezogen werden, so ist bei unbeschränkt steuerpflichtigen Anlegern die festgesetzte und gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer auf den Teil der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer anzurechnen, der auf diese ...