Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Dem EuGH wird zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob das Finanzamt zu viel gezahlte Mehrwertsteuer erstatten muss, wenn ein Unternehmer den eigentlich zutreffenden Anspruch gegen seinen Vorlieferanten aufgrund zivilrechtlicher Verjährung nicht mehr geltend machen kann.
Sachverhalt
Der Kläger ist Land- und Forstwirt und betreibt unter anderem einen gewerblichen Handel mit Holz. In den Jahren 2011 bis 2013 erwarb er von seinen Vorlieferanten, mit denen er jeweils Nettovereinbarungen getroffen hatte, Holz unter Ausweis eines Umsatzsteuersatzes von 19 %. Der Kläger selbst veräußerte und lieferte in der Folge das Holz an seine Kunden unter Berücksichtigung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % (Brennholz). Die Vorlieferanten erklärten jeweils die Umsätze und führten die Steuern in Höhe von 19 % an die Finanzbehörden ab, während der Kläger lediglich Ausgangsumsätze zu 7 % erklärte und seinerseits den Vorsteuerabzug aus seinen Eingangslieferungen in Höhe von 19 % geltend machte. Die sich hieraus ergebende Steuerschuld hat der Kläger an die Finanzbehörde gezahlt. Im Rahmen eines späteren Klageverfahrens wurde bestätigt, dass der Kläger den ermäßigten Steuersatz von 7 % zu Recht angewandt hatte. Danach wandte er sich an seine Vorlieferanten mit der Bitte, die Rechnungen ihm gegenüber zu berichtigen und ihm den Differenzbetrag auszuzahlen. Diese beriefen sich jedoch sämtlich auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung. Da das Finanzamt den Vorsteuerabzug des Klägers nach unten korrigierte und letztlich nur die gesetzlich von den Vorlieferanten geschuldete Umsatzsteuer berücksichtigte, verblieb ihm ein finanzieller Nachteil. Er stellte deshalb bei seinem Finanzamt den Antrag, ihm die nachgeforderte Umsatzsteuer und die festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer im Wege der Billigkeit gemäß § 163 AO und § 227 AO zu erlassen. Dabei nahm er auf die sogenannte Reemtsma-Rechtsprechung Bezug. Die Anträge wurden abgelehnt und auch die hiergegen gerichteten Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Das FG hat in der Sache nicht entschieden, sondern dem EuGH zur Vorabentscheidung folgende Frage vorgelegt: Gebietet es das Unionsrecht, dass ein Unternehmer an seine Vorlieferanten zu viel gezahlte Mehrwertsteuer einschließlich Zinsen direkt vom Finanzamt erstattet verlangen kann, wenn die entsprechenden zivilrechtlichen Forderungen verjährt sind, aber es andererseits sein könnte, dass die Vorlieferanten aufgrund einer jeweiligen Rechnungsberichtigung das Finanzamt in Anspruch nehmen. Dann wäre (nämlich) die Folge, dass die Finanzverwaltung dieselbe Mehrwertsteuer zweimal erstatten müsste.
Dem Vorlagebeschluss ist zu entnehmen, dass das FG einen sogenannten Reemtsma-Anspruch durchaus für möglich hält. Andererseits weist es für den vorliegenden Streitfall darauf hin, dass den Vorlieferanten die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG und § 14c Abs. 2 UStG weiterhin und zeitlich unbegrenzt zusteht. Das bedeutet, dass die Vorlieferanten auch zu einem (deutlich) späteren Zeitpunkt noch die Rechnungen berichtigen und dann von ihren Finanzbehörden den zu viel gezahlten Betrag zurückverlangen könnten. In einem solchen Fall müsste die für den Kläger zuständige Finanzbehörde wieder an diesen herantreten und von ihm eine Rückzahlung des zuvor im Wege der Billigkeit ausgezahlten Erstattungsbetrags verlangen. Wenn der Kläger dann – z. B. infolge einer zwischenzeitlich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder aus anderen Gründen – zu einer Rückzahlung nicht in der Lage ist, hätten die Finanzbehörden die Mehrwertsteuer im Ergebnis doppelt erstattet. Letztlich muss der EuGH also über die Reichweite des sogenannten Reemtsma-Anspruchs entscheiden.
Hinweis
Soweit ersichtlich hat in den bisher vom EuGH entschiedenen Fällen immer die Zahlungsunfähigkeit des Rechnungsausstellers zu der misslichen Situation ("ungerechtfertigte Belastung des Rechnungsempfängers/Leistungsempfängers") geführt. Im vorliegenden Verfahren gibt es keine Hinweise darauf, dass die Vorlieferanten nicht mehr "greifbar" sind, sie beriefen sich lediglich auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung. Daher besteht nach Ansicht des FG das Risiko, dass der Fiskus, sofern er hier dem Kläger nachgibt und ihm die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer zurückerstattet, später nochmals zahlen muss, wenn nämlich die Vorlieferanten zulässigerweise ihre "falschen" Rechnungen korrigieren. Die Entscheidung des EuGH darf daher mit Spannung erwartet werden. Dies betreffend weist Huschens, UVR 2022 S. 337, allerdings darauf hin, dass eine wirksame Berichtigung eines Steuerbetrages nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG und § 17 Abs. 1 UStG grundsätzlich voraussetzt, dass der Unternehmer die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat – was hier gerade nicht zu erwarten sei, schließlich beriefen sich die Vorlieferanten auf die Einrede der Verjährung. Sofern diese Rückerstattung nicht erfolge, sei das Finanzamt berechtigt, die Erstattung der zu Unrec...