Prof. Dr. Helmut Wannenwetsch
Ziel und Aufgabe der Bedarfsermittlung ist es, den Bedarf der Materialien so zu bestimmen, dass diese für die Produktion oder den direkten Verkauf als Handelsteil termin- und mengengerecht zur Verfügung stehen.
Voraussetzung ist die ordnungsgemäße Ermittlung der Ausgangsmaterialien, Teile, Baugruppen sowie die genaue Festlegung des Vorhersagezeitraums. Hierbei kann unterschieden werden zwischen programmorientierter Bedarfsermittlung, verbrauchsorientierter Bedarfsermittlung und subjektiver Bedarfsschätzung. In der Praxis kommen oft alle drei Möglichkeiten nebeneinander vor (vgl. Tab. 12).
Programmorientierte Bedarfsermittlung |
Verbrauchsorientierte Bedarfsermittlung |
Subjektive Bedarfsschätzung |
Anhand von Stücklistenauflösungen bei prognostizierbarem Bedarf oder festen Kundenaufträgen anwendbar. |
Anhand von Vergangenheitswerten bei Bedarfs- und Verbrauchsschwankungen, Trend, Saison oder unregelmäßigem Verbrauch anwendbar. |
Bei schwierig planbarem Verbrauch oder unregelmäßiger Nachfrage anwendbar (z. B. bei Spezialteilen, Exoten). |
Tab. 12: Möglichkeiten der Bedarfsermittlung
3.1 Programmorientierte Bedarfsermittlung und Disposition
Die programmorientierte Bedarfsermittlung erfolgt bei der Planung von höher- oder hochwertigen Artikeln und Materialien. Dies sind A-Güter und oft auch B-Güter. Die Grundlage für die Planung bilden Stücklisten.
Bei der programmorientierten Bedarfsermittlung kann auf Grund der höheren "Planungssicherheit" mit einem geringeren Sicherheitsbestand als bei der verbrauchsorientierten Bedarfsermittlung gearbeitet werden. Die Grundlagen der programmorientierten Bedarfsermittlung sind die Lager- und Kundenaufträge.
Die folgende Grafik zeigt als Beispiel die Komponenten eines Stahlrohrtisches (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Komponenten des Stahlrohtisches 1001 (vgl. Glaser; Geiger; Rhode, 1992, S. 13)
Für den Disponenten ist es wichtig zu wissen, in welcher zeitlichen Reihenfolge der Stahlrohrtisch zusammengebaut wird. Die Teile, welche zuerst montiert werden, müssen auch zuerst beschafft und für die Montage bereitgestellt werden. Die nachfolgende Grafik (vgl. Abb. 2) zeigt die Erzeugnisstruktur des Stahlrohrtisches. Aus der Erzeugnisstruktur ist ersichtlich, dass die Fertigungsstufe 4 die Teile zuerst zusammenbaut. Das fertig montierte Querrohr 9001 und die Lasche 9701 müssen bei dem Stahlrohrtisch als Erstes zur Querverbindung 6001 montiert werden. Die Querverbindung befindet sich auf Fertigungsstufe drei. Um Engpässe zu vermeiden und die Dispositionssicherheit zu erhöhen, müssen die entsprechenden Teile rechtzeitig beschafft werden und entsprechend vorher auf Lager liegen. Bei Just-in-Time und Just-in-Sequence kann sich die Zwischenlagerzeit auf wenige Stunden verkürzen.
Abb. 2: Erzeugnisstruktur des Stahlrohtisches 1001
Die Stückliste (analytische Bedarfsauflösung) stellt ein Verzeichnis der Rohstoffe, Teile und Baugruppen eines Erzeugnisses dar. Sie gibt Auskunft über den qualitativen und quantitativen Aufbau des Erzeugnisses.
Ausgangspunkt für die einzelnen Stücklisten ist die Gesamtstückliste (Zusammenstellung aller Bestandteile eines Erzeugnisses ohne Ordnung nach bestimmten Merkmalen). Aus ihr werden Stücklisten für spezielle Zwecke abgeleitet (Mengenübersichtsstückliste, Dispositionsstückliste).
3.2 Verbrauchsorientierte Materialbedarfsermittlung – das Risiko steigt
Die verbrauchsorientierte Bedarfsermittlung setzt einen schwankenden Bedarf voraus. Der Bedarf soll aber trotzdem so genau wie möglich vorhergesagt werden. Die Disposition geschieht auf Grundalge von Vergangenheitswerten und entsprechenden Erfahrungen des Unternehmens.
Das verbrauchsorientierte Verfahren wird angewendet bei:
- C-Gütern wie Hilfs- und Betriebswerkstoffen oder Verschleißwerkzeugen;
- bei ungeplanten Entnahmen, Ersatzteilbedarf oder hohem Ausschuss;
- wenn programmorientierte Methoden nicht anwendbar oder unwirtschaftlich sind.
Zur Ermittlung des verbrauchsorientierten Materialbedarfs sind verschiedene Methoden in der Praxis anwendbar.
3.2.1 Stochastische Methoden
Die stochastischen Verfahren (Stochastik = Teilgebiet der Statistik) zur Bedarfsvorhersage unterstellen einen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch in der Vergangenheit und dem Bedarf in der Zukunft. Grundlage der stochastischen Methoden sind effektive Verbrauchsdaten aus der Vergangenheit. Die stochastischen Methoden lassen sich wieder unterteilen in:
- Mittelwertbildung,
- exponentielle Glättung,
- Regressionsanalyse.
Einen Überblick über die Eignung der verschiedenen stochastischen Methoden in Bezug auf verschiedene Bedarfverläufe bietet die folgende Abb. 3.
Abb. 3: Eignung der stochastischen Methoden bei verschiedenen Bedarfsverläufen
Mittelwertbildung
Die Methoden zur Ermittlung des Mittelwerts sind für eine Bedarfsvorhersage geeignet, wenn der Bedarfsverlauf der Materialien konstant ist. Es lassen sich drei Möglichkeiten der Mittelwertbildung unterscheiden:
- arithmetischer Mittelwert,
- gleitender Mittelwert,
- gewogen-gleitender Mittelwert.
a) Arithmetischer Mittelwert
Bei der Berechnung des arithmetischen Mittelwerts werden die Verbräuche der jeweiligen Perioden addiert und durch die Anzahl der Perioden dividiert. Eine gezielte Anpassung der...