Leitsatz
Die Neuregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG begegnet wegen ihrer Rückwirkungsproblematik sowie der in ihr enthaltenen Verletzung schutzwürdigen Vertrauens der Steuerpflichtigen in eine Feststellung in der Vergangenheit erlittener Verluste, bei summarischer Prüfung erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
§ 10d Abs. 4 Satz 6, § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG vom 13.12.2006, § 181 Abs. 5 AO, § 69 Abs. 3 FGO, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Im Streitfall geht es um die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlusts zum 31.12.1996. Eine solche Verlustfeststellung würde für den Antragsteller zum Wegfall der festgesetzten Einkommensteuer 1997, 2001 und 2003 bis 2005 führen. Das FA hat eine Veranlagung anhand der vom Antragsteller in 2005 eingereichten ESt-Erklärung 1996 wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt.
Entscheidung
Der Senat wendet sich mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rückwirkung der Gesetzesänderung und gewährte die Aussetzung der Vollziehung.
Hinweis
1. Der BFH hat mit den Urteilen vom 01.03.2006, XI R 33/04 (BFH-PR 2006, 299) und XI R 65/05 (BFH-PR 2007, 12) entschieden, dass der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG nicht entgegensteht, dass für den Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung kein ESt-Bescheid ergangen war und auch nicht mehr ergehen konnte.
Nach diesen Urteilen können demnach Verluste aufgrund des § 181 Abs. 5 AO noch gesondert festgestellt werden, soweit die Feststellung für eine Steuerfestsetzung oder eine andere Feststellung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist.
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber § 10d Abs. 4 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006 um einen Satz 6 ergänzt.
Danach endet die Feststellungsfrist nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Abs. 5 AO ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.
Damit hat der Gesetzgeber eine klärende Einschränkung des § 181 Abs. 5 AO dahin vorgenommen, dass der Ablauf der Feststellungsfrist nur dann unbeachtlich sein soll, wenn ein pflichtwidriges Unterlassen der Finanzbehörde vorliegt.
Nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG ist die Neuregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG auf alle bei Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen anzuwenden. D.h. der Lauf der Feststellungsfristen wurde, soweit sie ausschließlich aufgrund der Wirkung des § 181 Abs. 5 AO nicht abgelaufen waren, im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Jahressteuergesetzes 2007 kraft Gesetzes beendet.
3. Das BMF äußert sich in seinem Schreiben vom 30.11.2007, IV C 4-S 2225/07/0004 zur Anwendung der vorgenannten BFH-Rechtsprechung und zur gesetzlichen Neuregelung durch das Jahressteuergesetz 2007.
4. Die Richter des FG München sind im Rahmen der summarischen Prüfung der Überzeugung, dass es ernstlich zweifelhaft ist, ob die Anwendung der Neuregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG auf in 1996 entstandene Verluste mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist.
5. Der BFH wird sich demnächst in den Verfahren IX R 86/07, IX R 89/07, IX R 90/07 u.a. mit der Frage zu befassen haben, inwieweit die Neuregelung Rückwirkung entfalten kann.
Link zur Entscheidung
FG München, Beschluss vom 14.08.2007, 5 V 1558/07