rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung bei der Versagung der Eintragung der Lohnsteuerklassen III und V auf der Lohnsteuerkarte für Steuerpflichtige, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft leben
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Aussetzung der Vollziehung ist die statthafte Form des vorläufigen Rechtsschutzes, wenn das FA die Änderung der Eintragung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise ablehnt.
2. Lebenspartner, die einen gemeinsamen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen, bilden eine zulässige Streitgenossenschaft.
3. Steuerpflichtige, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz leben, ist vorläufiger Rechtsschutz hinsichtlich der Eintragung der Lohnsteuerklassen III und V zu gewähren.
4. Die zeitliche Wirkung einer Aussetzung der Vollziehung im Hinblick auf die Eintragung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte ist bis zur Einführung der ELStAM begrenzt.
Normenkette
EStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nrn. 3, 5, § 39 Abs. 3b S. 4, § 39e Abs. 10 S. 1, § 52b Abs. 1, 5; LPartG; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; FGO §§ 69, 114, 59; ZPO § 59
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 15.06.2012; Aktenzeichen III B 4/12) |
Tenor
1. Die Vollziehung der Bescheide über die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte 2012 vom 10. Oktober 2011 11… und 22… wird dergestalt ausgesetzt, dass ab dem 1. Januar 2012 bis 1 Monat nach einer Entscheidung über die Einsprüche der Antragsteller gegen die beiden genannten Bescheide beim Antragsteller zu 1. vorläufig die Steuerklasse III und beim Antragsteller zu 2. vorläufig die Steuerklasse V berücksichtigt wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) darüber, ob die Antragsteller, seit 2010 Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, für das Jahr 2012 (Streitjahr) die Steuerklassenkombination III/V wählen können.
Die Antragsteller sind Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Antragsteller zu 1. bezieht Versorgungsbezüge und erzielt daneben Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die im Jahr 2008 über 410 EUR und in den Jahren 2009 und 2010 unter 410 EUR lagen. Der Antragsteller zu 2. bezieht Altersrente in nicht bekannter Höhe, da er seit 2002 beim Antragsgegner (dem Finanzamt – FA –) steuerlich nicht mehr geführt wird; das Einkommensteuersignal für den Antragsteller zu 2. wurde gelöscht. Ob für die Antragsteller im Jahr 2012 nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Pflichtveranlagung durchzuführen sein wird, weil sie andere Einkünfte über 410 EUR beziehen, steht danach nicht sicher fest. Jedoch geben die Antragsteller an, dass im Jahr 2012 eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen sein wird.
Das FA lehnte den – von den Antragstellern gemeinsam gestellten – Antrag vom 4. Oktober 2011, auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers zu 1. statt der Steuerklasse I die Steuerklasse III und auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers zu 2. statt der Steuerklasse I die Steuerklasse V einzutragen, durch Bescheide vom 10. Oktober 2011 ab. Über die dagegen – gemeinsam – eingelegten Einsprüche der Antragsteller vom 14. Oktober 2011 ist noch nicht entschieden; die Einspruchsverfahren ruhen (mit Zustimmung der Antragsteller) nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO).
Zusammen mit den Einsprüchen beantragten die Antragsteller beim FA AdV. Diese Anträge lehnte das FA durch Bescheide vom 19. Oktober 2011 und 20. Oktober 2011 ab.
Mit ihrem – gemeinsam erhobenen– Antrag auf AdV bei Gericht verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, die Versagung der Zusammenveranlagung für Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft sei verfassungswidrig. Sie seien nicht „ledig”, sondern „verpartnert”. Von dem her müsse ihnen, den Antragstellern, von Verfassungs wegen auch die Wahl der Steuerklassen III und V offenstehen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Vollziehung der beiden angefochtenen Bescheide vom 10. Oktober 2011 dergestalt auszusetzen, dass vorläufig angeordnet wird, für das ganze Jahr 2012 die Steuerklasse des Antragstellers zu 1. von I in III und die Steuerklasse des Antragstellers zu 2. von I in V zu ändern.
Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II.
Der zulässige Antrag ist ganz überwiegend begründet; im Übrigen ist er abzulehnen. Der Antrag ist zulässig und es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung steht der beantragten AdV nicht entgegen. Jedoch ist die AdV nicht für das gesamte Jahr 2012 anzuordnen, sondern nur bis 1 Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Im finanzgerichtlichen Verfahren sehen §§ 69, 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zwei Arten des einstweiligen Rechtsschutzes vor: AdV und e...