Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfahndung in einem Bordellbetrieb auf Grundlage der Steueraufsicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Sind „Kontrollbesuche” der Steuerfahndung in einem Bordellbetrieb für besteuerungsrelevante Feststellungen nicht erforderlich bzw. nicht geeignet, sind sie von § 208 Abs. 1 S. 2 AO i V. m. § 99 AO ebensowenig gedeckt wie von § 208 Abs. 1 S. 3 AO i. V. m. § 200 Abs. 3 S. 2 AO und stellen einen Eingriff in Art. 13 GG dar.
2. Ein „Kontrollbesuch” ist als Maßnahme zur Gewinnung von Erkenntnissen für die Besteuerung von Prostituierten nicht geeignet, da die Feststellung, dass eine Prostituierte zum Zeitpunkt des Antreffens durch die Beamten gerade ihre Dienste anbietet, nur ein punktuelles und nicht etwa ein umfassendes Bild über den Tätigkeitsumfang der einzelnen Prostituierten geben kann.
3. Die Maßnahme ist auch nicht erforderlich, wenn die Feststellung, welche Personen im Bordellbetrieb der Prostitution nachgehen im Wege der Amtshilfe über das Sittenderzenat der Polizei erlangt werden kann.
4. Aufklärungs- und Präventionstätigkeiten sind von den Ermittlungsbefugnissen der Steuerfahndung gemäß § 208 Abs. 1 S. 2 AO nicht gedeckt.
Normenkette
GG Art. 13 Abs. 1; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 69 Abs. 3, § 114 Abs. 1, 5; AO §§ 99, 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 200 Abs. 3 S. 2; BGB § 862 Abs. 1 S. 1, §§ 866, 869 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
1) Dem Antragsgegner wird bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache verboten, die Geschäftsräume der Antragstellerin in der … in … zu betreten, um dort anwesende Prostituierte und/oder deren Kunden zu befragen.
2) Der Antragstellerin wird aufgegeben, binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim zuständigen Gericht Klage in der Hauptsache zu erheben.
3) Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
4) Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob dem Antragsgegner (Ag) im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen ist, Kontrollbesuche bei der Antragstellerin (Astin) vorzunehmen, um dort anwesende Prostituierte und deren Kunden nach ihren Namen sowie weiteren persönlichen Daten zu befragen.
Die Astin vermietet in der … in … Zimmer an Prostituierte, die dort ihre Tätigkeit anbieten und ausüben, wobei die Astin die Räumlichkeiten selbst von dritter Seite angemietet hat. Gegenstand der Mietverträge, die die Astin mit den Prostituierten abschließt, sind die einzelnen Zimmer. Gemeinschaftlich zu nutzende Flächen wie Flure und Eingangsbereich sind nicht ausdrücklich in die einzelnen Mietverträge aufgenommen, jedoch ist zwischen der Astin und ihren Mieterinnen unstreitig, dass durch die Mietverträge auch diesbezüglich Nutzungsrechte der Mieterinnen begründet werden, soweit deren Betreten für das Erreichen der vermieteten Zimmer erforderlich ist. Der zuständige Verwalter des Betriebs der Astin hält sich im sog. Frühstücksraum auf. Dieser kann von den Mieterinnen der Räume ebenfalls genutzt werden, wenn der Verwalter sich im Betrieb aufhält.
Beim Abschluss von Mietverträgen über Zimmer im Betrieb der Astin meldet diese die Namen der jeweiligen Prostituierten sowie die weiteren persönlichen Daten, die auf der ersten Seite der Mietverträge angegeben werden, entsprechend einer in den jeweiligen Mietverträgen abgegebenen Zustimmungserklärung der Mieterinnen an die Polizeidirektion (PD) … – Sittendezernat –, um dieser eine – vorwiegend ausländerrechtliche – Überprüfung der Prostituierten zu ermöglichen. Hierbei werden von der Astin die folgenden Angaben gemacht:
- Nr. des angemieteten Appartements;
- Künstlername der Mieterin im Hause;
- Familienname;
- Vorname;
- ggf. abweichender Geburtsname;
- Geburtsdatum;
- Geburtstag;
- Personenstand;
- Nationalität;
- Wohnsitz/Zuzug von …;
- Ausweisnummer;
- Ausweisart (Pass oder Personalausweis);
- Ausweis eingesehen durch: …;
- Kopie erstellt: ja/nein.
Bei Beendigung von Mietverträgen teilt die Astin dies ebenfalls der PD … mit. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Seit dem Jahr 2003 hatte sich die Astin an dem sog. „Düsseldorfer Verfahren” beteiligt. Hierbei handelt es sich um ein vereinfachtes (Vorauszahlungs-)Verfahren für Prostituierte, das nicht gesetzlich geregelt ist, sondern im Verwaltungswege geschaffen wurde, weshalb die Teilnahme an diesem Verfahren für die Prostituierten bzw. die Bordellbetreiber/Vermieter nicht obligatorisch ist. Von den an diesem Verfahren auf freiwilliger Basis teilnehmenden Personen wird je Miet- bzw. Tätigkeitstag ein bestimmter Tagessatz erhoben, der sich aus Ertragsteuern, Solidaritätszuschlag und Umsatzsteuer zusammensetzt und der – nach den üblichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren – vom Vermieter/Bordellbetreiber mit der (Tages-)Miete bzw. dem Nutzungsentgelt erhoben und vierteljährlich an das zuständige Finanzamt weitergeleitet wird. Zugleich hat der Vermieter/Bordellbetreiber entsprechend den üblichen Vereinbarungen dem Finanzamt vierteljährl...