rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rechtmäßigkeit von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG hinsichtlich der progressionserhöhende Einbeziehung von Auslandseinkünften in den sog. Wegzugfällen. Aussetzung der Vollziehung von Einkommensteuer 1996
Leitsatz (amtlich)
Es ist im Rahmen einer summarischen Prüfung ernstlich zweifelhaft, ob die Vorschrift des § 32 b Abs. 1 Nr. EStG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und geltendes DBA-Recht nicht insoweit verfassungs-/völkerrechtswidrig widrig ist, als durch diese Vorschrift in den sog. Wegzugfällen nicht nur fortbestehende inländische Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG, sondern auch zwischen dem Zeitpunkt des Wegzuges und dem Ablauf des Veranlagungszeitraums allein im Ausland erzielte Einkünfte bei der inländischen Veranlagung progressionserhöhend erfasst werden.
Normenkette
EStG § 32b Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 7 S. 3, §§ 49, 1 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
1. Die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids 1996 vom 29. April 1998 wird in Höhe von … DM Einkommensteuer und … DM Solidaritätszuschlag aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluß errechneten Betrags Sicherheit leistet.
4. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin (Astin) reichte am 23. Mai 1997 mit ihrem Ehemann, ihrem jetzigen Prozeßbevollmächtigten, eine gemeinsame Einkommensteuer(ESt)-Erklärung für das Streitjahr 1996 beim beklagten Finanzamt (FA) ein.
Für die Astin wurden dabei aus ihrer selbständiger Tätigkeit als … Einkünfte in Höhe von … DM, für ihren Ehemann aus dessen selbständiger Tätigkeit, als … Einkünfte in Höhe von … DM erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts dieser Steuererklärung wird auf sie Bezug genommen (Bl. 2 bis 25 der ESt-Akten des Antragsgegners –Ag–).
Mit Schreiben des Ag vom 26. November 1997 wurden die Astin und ihr Ehemann aufgefordert, ihre ausländischen Einkünfte, die im Veranlagungszeitraum 1996 nicht der deutschen ESt unterlegen hätten, unter Belegnachweis mitzuteilen.
Auf Rückfrage, wozu diese Angaben benötigt würden, antwortete der Ag mit Schreiben vom 19. Dezember 1997, daß die begehrten Auskünfte gemäß § 2 Abs. 7 EStG i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG benötigt würden. Für den Fall, daß keine Angaben gemacht würden, seien ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV) in … mit … DM zu schätzen. Aufgrund der vorstehenden Rechtsvorschriften würden die von der Astin erzielten Einkünfte aus … Tätigkeit in … sowie die von ihrem Ehemann erzielten Einkünfte als … in … ebenfalls dem deutschen Progressionsvorbehalt unterfallen. Deshalb werde um Einnahme-Überschuß-Rechnungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 für die selbständigen Tätigkeiten gebeten. Für den Fall, daß diesbezüglich keine Angaben gemacht würden, seien die Einkünfte der Astin als … für vorstehenden Zeitraum mit … DM und für ihren Ehemann mit … DM zu schätzen.
Mit Schreiben vom 17. Januar 1998 an den Ag teilten die Astin und ihr Ehemann mit, daß sie in den vergangenen Jahren Steuererklärungen mit Einnahme-Überschuß-Rechnungen gemacht hätten. Sie hätten dabei weder stille Reserven angelegt noch irgendwelches sog. Betriebsvermögen gehabt. Keiner habe eine Betriebsstätte unterhalten, es sei nur ein Arbeitszimmer innerhalb ihrer Wohnung vorhanden gewesen, Auch ein Anlageverzeichnis hätten sie niemals abgegeben, da keine Anlagen vorhanden gewesen seien. Es sei für sie beide kein Veräußerungsgewinn entstanden, da nichts zu veräußern gewesen sei.
Die Astin, die … Staatsbürgerin sei, habe am 29. Juni 1996 Deutschland verlassen. Nach Art. 21 des Doppelbesteuerungsabkommens, (DBA) zwischen Deutschland und Frankreich brauche sie die vom Ag geforderten Angaben bezüglich ihrer Einnahmen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 nicht zu machen; da sie von einem deutschen Staatsbürger in … auch nicht verlangt werden könnten. Die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit des Ehemanns der Astin im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 hätten … DM (netto) betragen. Unter Berücksichtigung, daß die Astin Einnahmen aus VuV nicht anzugeben habe, seien von ihm darüber hinaus Netto-Einnahmen aus dieser Einkunftsart in Höhe von … DM erzielt worden.
Im ESt-Bescheid für 1996 vom 11. Februar 1998 ermittelte der Ag für die Astin und ihren Ehemann ein zu versteuerndes Einkommen von … DM.
Bei der Berechnung der ESt berücksichtigte er einen Progressionsvorbehalt gemäß § 32b EStG in Höhe von 29, 1580 v.H. aus … DM, woraus sich eine festzusetzende – ESt von … DM sowie ein Solidaritätszuschlag (SolZ) von … DM ergaben. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid führte der Ag aus, daß die ausländischen Einkünfte sich wie folgt zusammensetzen würden:
- • … DM Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Ehemann)
- • … DM Einkün...