Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Nachgehend
Tenor
Dem Antragsgegner wird untersagt, bis zur Entscheidung in einem gegebenenfalls von der Antragstellerin noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren dem Landtag von Baden-Württemberg steuergeheimnisgeschützte Kenntnisse über Verhältnisse der Antragstellerin gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 c der Abgabenordnung zu offenbaren.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 8.000 DM festgesetzt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Staatsanwaltschaft … betreibt gegen die Antragstellerin und ihren Vater … ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. In diesem Zusammenhang wurden in der Presse und anderen Medien Vermutungen über eine Einflußnahme des Antragsgegners und der nachgeordneten Behörden auf das Besteuerungsverfahren der Antragstellerin angestellt (z.B. „Der Spiegel” vom 4. September 1995, Seite 106). Nachdem der Antragsgegner dieser Darstellung widersprochen hatte, stellten Abgeordnete der SPD sowie die Fraktionen der Grünen und der Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg den Antrag, der Landtag möge beschließen, die Landesregierung zu ersuchen, über steuerliche Verhältnisse der Antragstellerin zu berichten (zu den Einzelheiten vgl. Bl. 21 ff der Gerichtsakten). Der Antragsgegner beabsichtigt, diesem Ersuchen im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen in bestimmtem Umfang zu entsprechen (Schreiben vom 25. September 1995 mit Anlage = Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 22. September 1995, Bl. 40 ff a.a.O.). Nach Presseberichten ist eine Auskunftserteilung gegenüber dem Parlament für den 28. September 1995 vorgesehen (z.B. „Mannheimer Morgen” vom 26. September 1995, Seite 2). Hiergegen wendet sich die Antragstellerin – nachdem sie einer Offenbarung ihrer steuerlichen Verhältnisse nicht zugestimmt hatte (Schreiben an den Antragsgegner vom 19. September 1995, Bl. 32 ff a.a.O.) – mit dem Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, steuergeheimnisgeschützte Kenntnisse über Verhältnisse der Antragstellerin gemäß § 30 Abs. 5 c (richtig: § 30 Abs. 4 Nr. 5 c) der Abgabenordnung (AO) dem Landtag von Baden-Württemberg zu offenbaren.
Die Antragstellerin trägt im wesentlichen vor, der Antragsgegner sei nach § 30 Abs. 1 AO zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet. Eine Offenbarung ihrer steuerlichen Verhältnisse sei nicht – wie der Antragsgegner meine – gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 c AO gerechtfertigt. Diese Ausnahmevorschrift sei eng auszulegen; ein „Notwehrrecht” der Finanzverwaltung zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses sei im Streitfall nicht gegeben, zumal vorliegend unwahre Tatsachen nicht von der Antragstellerin, sondern von dritter Seite verbreitet würden.
Für weitere Einzelheiten des Vorbringens der Antragstellerin wird auf ihren Schriftsatz vom 25. September 1995 Bezug genommen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß Ablehnung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Für sein Vorbringen wird auf den Schriftsatz vom 25. September 1995 (mit Anlage) Bezug genommen. Er hat zugesagt, die – umfänglich beschränkte – Auskunft nicht vor Dienstag, 26. September 1995, 17.00 Uhr, zur erteilen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat ist für die Entscheidung zuständig. Örtlich zuständig sind gemäß § 38 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Senate des Finanzgerichts Baden-Württemberg in Karlsruhe, da die Antragstellerin ihren Wohnsitz im Bezirk des Finanzamts Heidelberg hat (früher in Brühl/Finanzamtsbezirk Schwetzingen). Für den erkennenden Senat besteht, da kein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt, eine „Auffangzuständigkeit” i.S. der Nummer 9 des Zusatzes zum Geschäftsverteilungsplan für das Finanzgericht Baden-Württemberg für das Geschäftsjahr 1995 – Richterlicher Dienst – (zu einem vergleichbaren Sachverhalt Beschluß des Bundesfinanzhofs – BFH– vom 8. Februar 1995 I B 92/94, insoweit in BStBl II 1995, 358 nicht veröffentlicht).
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin begehrt eine Sicherungsanordnung i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Vorausetzung für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist nach ständiger Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (z.B. BFH-Beschluß vom 14. April 1989 III B 5/89, BStBl II 1990, 351). Für die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs reicht der schlüssige Vortrag einer Rechtsposition aus; ob die...