Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzungsbefugnis für die Umsätze von zwei Chinarestaurants bei Nichtvorlage von Programmierprotokollen für die Kasse und teilsweise „schwarzen” Wareneinkäufen und Lohnzahlungen. Schätzung nach der Richtsatzsammlung mit Rohgewinnaufschlagssatz 330 %. Beschaffenheit der Buchführung einschließlich der Kasse als „neue Tatsache” des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Buchführung der ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelnden Inhaberin von zwei Chinarestaurants weist formelle und materielle Mängel auf, die aufgrund ihrer Schwere zur Schätzung berechtigen, wenn unter anderem
- für die elektronisch geführten Kassen keine Programmierprotokolle vorgelegt werden können; dass kein Einkaufsbeleg über den Erwerb der Kasse und Programmierprotokolle vorgelegt werden können, weil die Kasse in gebrauchtem Zustand erworben wurde, entlastet die Steuerpflichtige nicht;
- eingekaufte Waren teils nicht in der Buchführung erfasst worden sind („Rechnungssplitting),
- Löhne „schwarz” gezahlt worden sind.
2. Für die Frage der Berechtigung einer Hinzuschätzung dem Grunde nach kommt es auf ein schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen nicht an. Warum Programmierprotokolle nicht mehr vorgelegt werden können, ist daher ohne Belang. Eine Schätzung ist im Übrigen auch dann zulässig und der Steuerpflichtige zur Mitwirkung verpflichtet, wenn parallel zum Besteuerungsverfahren ein Steuerstrafverfahren läuft.
3. Eine – auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zulässige – Schätzung nach der amtlichen Richtsatzsammlung ist die geeignetste Schätzungsmethode, das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Das gilt insbesondere, wenn ein innerer Betriebsvergleich in Form einer Aufschlagskalkulation aufgrund des von der Steuerpflichtigen hervorgehobenen Büffetangebots ausscheidet, da die Preise unabhängig von der Menge der von dem einzelnen Kunden verzehrten Speisen festgelegt sind.
4. Eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung ist nicht durchführbar, wenn die Vermögenszuwächse und Geldflüsse nicht innerhalb des gesamten Haushalts überprüft werden können, weil die Steuerpflichtige sich weigert, sämtliche betrieblichen und privaten Konten aller Familienmitglieder vorzulegen, und wenn zudem entscheidende Rechengrößen wie z. B. der Anfangsbestand an Bargeld und die eingenommenen Trinkgelder nicht bekannt und zudem streitig sind.
5. Der vom Finanzamt bei der Richtsatzschätzung für die Streitjahre 2010-2016 verwendete, an der oberen Grenze der Richtsätze für Restaurants mit asiatischem Speiseangebot liegende Rohgewinnaufschlagssatz von 330 % sowie der vom Finanzamt angenommene Aufteilungsschlüssel für die Umsätze zum regulären und ermäßigten Steuersatz von 85 % zu 15 % sind nicht zu beanstanden, wenn die Steuerpflichtige bei der Führung des Restaurants hohe kriminelle Energie gezeigt hat, das Restaurant eine gute zentrale Lage hat (nur 100 m vom Bahnhof entfernt), über mehr als 100 Sitzplätze verfügt, die Gerichte in der Zubereitung und Präsentation eher einfach gehalten sind (im Wesentlichen Büffetbetrieb) und wenn bereits der erklärte Umsatz überdurchschnittlich hoch ist.
6. Das Angebot eines Büffets führt nicht per se zu einem niedrigeren Rohgewinnaufschlagssatz, denn damit einher geht auch eine Einsparung von Kosten, etwa weil Gerichte nicht einzeln gekocht, angerichtet und serviert werden müssen. Auch der behauptete Anfall von Essensresten führt nicht zu einer Verringerung des Rohgewinnaufschlagssatzes.
7. Das von der Steuerpflichtigen genannte Verhältnis von Büffet zum Essen à la carte von 99 % zu 1 % ist nicht glaubhaft, wenn auf der Speisekarte ein umfangreiches Angebot einzelner Gerichte angeboten wird.
8. Im Rahmen der Richtsatzschätzung ist eine Kürzung des gebuchten Wareneinsatzes um weiteren Eigenverbrauch und weiteres Personalessen nicht geboten, wenn sich die genaue Anzahl der Arbeitnehmer und der Umfang der Verköstigung durch die Betriebe der Steuerpflichtigen nicht mehr feststellen lassen. Es ist im Rahmen einer Schätzung nicht Aufgabe der Finanzbehörde oder des Finanzgerichts, jeder einzelnen Rechengröße mit äußerster Akribie nachzugehen, wenn die Steuerpflichtige in ihren Steuererklärungen zur Vermeidung einer höheren Steuerlast unrichtige Angaben zum Eigenverbrauch bzw. zu den unentgeltlichen Wertabgaben und der Personalverköstigung gemacht hat.
9. Die Gewinne sind im Rahmen der Richtsatzschätzung nicht um schwarz bezogene Wareneinkäufe zu kürzen. Das gilt ebenso für die von der Steuerpflichtigen bestrittenen Schwarzlohnzahlungen.
10. Die Beschaffenheit der Buchführung einschließlich der Kasse ist eine „neue Tatsache” (vgl. FG Münster, Urteil v. 31.8.2000, 14 K 3305/98; FG Münster, Urteil v. 8.5.2012, 1 K 602/09, EFG 2012 S. 1894; Hessisches FG, Urteil v. 24.3.2014, 4 K 2340/12,), sodass die Bescheide, die nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden können.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 3-4; AO § 146 Abs. 1, §§ 158, 16...