Revision eingelegt (BFH X R 27/24)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen bei einem Imbissbetrieb
Leitsatz (redaktionell)
Zur Schätzungsbefugnis bei Mängeln der Kassenführung (hier fehlende Organisationsunterlagen und Programmierprotokolle) und Schätzungsmethode (hier Richtsatzsammlung) bei einem Imbissbetrieb.
Normenkette
AO §§ 158, 162; FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbeträge (Streitjahre 2015-2017) und für Zwecke der Umsatzsteuer (Streitjahre 2015-2018).
Die Klägerin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt wird, betrieb zwischen März 2015 und Februar 2019 in A einen Imbiss mit mehreren Sitzgelegenheiten (Öffnungszeiten Mo-So 10-22 Uhr, inkl. Lieferdienst), in dem neben Dönergerichten auch weitere Speisen (Grillgerichte, Pide, Pizzen, Salate, Currywurst, Chicken Nuggets, Chicken Wings, Falafel, Pommes Frites und Baklava) angeboten wurden. Die Gewinnermittlung wurde nach § 4 Abs. 3 EStG vorgenommen.
Sie wurde zunächst entsprechend ihrer Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für 2015 und 2017 veranlagt, zudem ihre Umsatzsteuererklärungen für 2015-2018 der Besteuerung zugrunde gelegt.
Von Dezember 2018 bis Mai 2019 führte der Beklagte eine Betriebs- und Umsatzsteuersonderprüfung betreffend die Jahre 2015-2017 (bzw. 2018) im Betrieb der Klägerin durch. Dabei stellte die Betriebsprüfung - ihrer Ansicht nach schwere - Buchführungsmängel fest. Bedienungsanleitung und Programmierprotokolle der Registrierkasse seien nicht vorgelegt worden, die - technisch mögliche - automatische Speicherung der Einzeldaten der Kasse auf einer SD-Karte sei unterdrückt worden. Die vorgelegten Finanzberichte seien unvollständig, so fehlten für 2015 einzelne Finanzberichte (17.-19.April, 21.-22.April, Nr. 3-6, Nr. 8, Nr. 11-12, Nr. 152). Für den hinsichtlich der Umsatzsteuer exemplarischen Voranmeldungszeitraum I. Quartal 2018 fehlten Finanzberichte vom 3.Februar, 3.März und 3. April 2018 (Nr. 1082, 1111-1114, 1116 und 1117). Für den 24. März 2018 weise das Kassenkonto einen Negativbetrag aus (- 40,32 €). In den Finanzberichten würden regelmäßig Stornierungen ausgewiesen, Stornobelege und -begründungen seien nicht vorgelegt worden. Ein etwaiger Trainingskellner sei auf den Finanzberichten nicht ausgewiesen. Für 2015 und 2016 sei ein Kassenbuch als Excel-Tabelle geführt worden, die jederzeit änderbar sei. In 2017 sei auf ein elektronisches Kassenbuch beim Steuerberater umgestellt worden, auch dieses sei veränderbar. Es seien an 3 Tagen Kassenbestände über rund 11.000 € bzw. 21.000 € im Kassenbuch aufgezeichnet worden, in den ersten 3 Quartalen 2018 an einzelnen Tagen Beträge über 3.000 - 5.000 €. Auf Nachfrage habe die Klägerin eingeräumt, dass diese Beträge nicht tatsächlich in der Kasse vorgehalten worden seien. Es seien vielmehr täglich 360 € Wechselgeld in die Kasse eingelegt und die Tageseinnahmen entnommen, in die privaten Räumlichkeiten mitgenommen und unregelmäßig bei der Bank eingezahlt worden.
Nach Ansicht des Prüfers bestehe so keine Sturzfähigkeit der Kasse. Das Zustandekommen der Einnahmen sei wegen der Mängel in der Kassenbuchführung nicht nachvollziehbar, es handle sich um einen schweren Buchführungsmangel. Die Beweiskraft der Buchführung sei erschüttert, eine Schätzung geboten und unabdingbar.
Die Schätzung wurde sodann durch die Betriebsprüfung anhand des buchhalterisch erfassten Wareneinsatzes bzw. Kosten für Hilfs- bzw. Betriebsmittel vorgenommen. Diese seien zugunsten der Klägerin korrigiert worden, außerdem werde eine zeitliche Zuordnung vorgenommen, da das erfasste Rechnungsdatum teilweise nicht zum Lieferdatum passe. Der aufgezeichnete Wareneinsatz werde um Aufwendungen für Betriebsmittel (Frittieröl) und Eigenverbrauch gekürzt. Wieviel Ware aufgrund Verderbs habe weggeworfen werden müssen, ließe sich nicht ermitteln. Ebensowenig seien Preisänderungen im Angebot festgehalten. Aus einer Gegenüberstellung des so berichtigten Wareneinsatzes mit den von der Klägerin erklärten Umsatzerlösen bzw. Einnahmen ergäben sich Rohgewinnaufschlagssätze in folgender Höhe:
2015: 72%
2016: 109%
2017: 94%
Für Betriebe wie den der Klägerin sehe die amtliche Richtsatzsammlung indes eine Spanne von 144% bis 376% vor. Die Betriebsprüfung wandte sodann den mittleren Rohgewinnaufschlagsatz (223%) für Imbissbetriebe auf den (korrigierten) Wareneinsatz an. Hieraus ergaben sich gegenüber den erklärten folgende Mehrerlöse (jeweils netto):
2015: … €
2016: … €
2017: … €.
Diese Beträge wurden sodann jeweils um die Umsatzsteuer erhöht, wobei der Prüfer für 2015 und 2016 von einem Anteil ermäßigt zu besteuernder Umsätze von 70%, für 2017 von 60% ausging. Dies begründete er damit, dass in 2017 ein überdachter Terrassenbereich mit vielen Sitzplätzen eingerichtet worden sei.
Mit Bescheiden vom 25. Juni 2019 bzw. vom 21. Juni 2019 erließ der Beklagte auf dieser Grundlage Festsetzungsbes...