Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewinnerzielungsabsicht oder Liebhaberei bei einem im Rahmen eines Schneeballsystems nur mit Verlusten betriebenen Einzelhandel mit Gebrauchsgegenständen?
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein -im Rahmen eines nach dem Scheeballsystem aufgebauten Vertriebssystems- geführter Einzelhandel mit Gebrauchsgegenständen, verbunden mit dem Anwerben und Einarbeiten neuer "Verteiler", die in der Vertriebshierarchie unter dem Steuerpflichtigen stehen und für deren Verkäufe ihm Provisionen zustehen, kann auch dann mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden, wenn in der achtjährigen Betriebsdauer nur Verluste erwirtschaftet werden, nach den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Namen der vertriebenen Marke nicht geworben werden darf und der Verkauf nicht öffentlich, sondern nur im Rahmen von privat veranstalteten "Gästeabenden" erfolgen darf.
2. Für eine Gewinnerzielungsabsicht spricht es insbesondere, wenn mangels entsprechend hoher Einkünfte des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau Steuerspargründe nur im Hintergrund standen, auf die Verluste mit Einsparungsmaßnahmen (Reduzierung der Hauptausgabeposten Kfz- und Arbeitszimmer-Aufwendungen) reagiert wurde, andere in dem gleichen Vertriebssystem tätige Steuerpflichtige nachweislich Gewinne erzielten und die Verluste letztlich nur auf das Unvermögen des Steuerpflichtigen zurückzuführen waren, eine ausreichende Anzahl von in der Hierarchie unter ihm stehenden "Verteilern" zu aquirieren.
3. Zum Anscheinsbeweis für das Betreiben eines Einzelhandels in Gewinnerzielungsabsicht.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2, 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob vom Kläger (Kl) erwirtschaftete Verluste steuerlich berücksichtigungsfähig sind.
Der Kl war bis 1993 als Abfüller bei der Fa. M... GmbH & Co KG in L... nichtselbständig beschäftigt. In 1994 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Die Klägerin (Klin) war als Friseuse nichtselbständig tätig, ab 2. Mai 1991 war sie als Angestellte bei einem Autohaus halbtags beschäftigt.
Zum 1. Juli 1989 meldete der Kl bei der Stadt W... einen Einzelhandel mit Gebrauchsgegenständen an, der zum 28. Februar 1997 wieder abgemeldet wurde.
Für die Veranlagungszeiträume (VZ) 1989 bis 1995 reichte der Kl für seinen Textileinzelhandel Einnahmen-Oberschuß-Rechnungen ein. Wegen des Inhalts dieser Gewinnermittlungen im einzelnen wird auf sie Bezug genommen.
Aufgrund dieser Berechnungen wurden in den gemeinsamen Einkommensteuer-(ESt)-Erklärungen der Kl folgende Verluste aus Gewerbebetrieb des Kl geltend gemacht:
1989: |
13.155 |
DM |
1990: |
14.561 |
DM |
1991: |
21.600 |
DM |
1992: |
12.433 |
DM |
1993: |
7.557 |
DM |
1994: |
7.564 |
DM |
1995: |
4.125 |
DM. |
Im Oktober 1992 führte der Bekl beim Kl eine Außenprüfung (Ap) für die VZ 1989 bis 1991 durch. Der Prüfer traf hierzu in seinem Bericht vom 26. November 1992 folgende Feststellungen:
„Herr ... betreibt seit dem 1. Juli 1989 nebenberuflich den Aufbau einer Verteilerorganisation, die Waren der Fa. E... (Textilien, Kosmetikartikel u.ä.) umsetzt.
Wareneinkauf und -verkauf erfolgen in der absteigenden Linie E... Sponsor (= Verteiler, der einen oder mehrere Verteiler angeschlossen hat) – Verteiler – Endverbraucher.
Ein Verteiler erhält von dem Verteiler, der ihn geworben hat. Umsatzprovisionen und zahlt an den/die Verteiler, den/die er selbst geworben hat, Umsatzprovisionen. Diese Umsatzprovisionen sind abhängig von der Höhe der Umsätze (z. B. 300 DM Umsatz = 3 % Provision, 15.000 DM Umsatz = 21 % Provision). Dabei werden dem Verteiler die gesamten Umsätze des Verteilers/der Verteiler, den/die er selbst geworben hat, zugerechnet.
Der Name E... darf vom Verteiler nicht verwendet werden.
E... Waren dürfen nicht öffentlich ausgestellt oder verkauft werden.
Seit Geschäftsbeginn wurden ausschließlich Verluste erzielt (insgesamt ca. 49.000 DM). Die Einnahmen aus Warenverkauf, Provisionen und Sachentnahmen betrugen netto ca. 118.000 DM. Die Ausgaben für Wareneinkauf und Provisionen betrugen netto ca. 124.200 DM.
Laut Ap wird vom Vorliegen einer steuerlich unbeachtlichen Liebhaberei ausgegangen, da ein Totalgewinn wohl nicht zu erzielen sein wird. Dafür spricht, daß in den ersten 2 ½ Jahren erhebliche Verluste erzielt wurden und sich auch unter Ansatz eines Warenbestands von ca. 7.000 DM (lt. Angaben des Steuerberaters) nur ein minimaler Rohgewinn (ca. 800 DM) ergibt und daß durch die Untersagung der Verwendung des. Namens E... sowie des öffentlichen Verkaufs Geschäftshemmnisse bestehen. Nach der Lebenserfahrung sind Tätigkeiten auf der unteren Ebene eines solchen Scheeballsystems (lt. Herrn ...) nicht geeignet, dauerhaft Gewinne zu erzielen.”
In den jeweils nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden ESt-Bescheiden 1992 vom 31. August 1994,1993 vom 21. Februar 1995 und 1994 vom 11. September 1995 berücksichtigte das beklagte FA die erklärten Verluste aus Gewerbebetrieb nicht.
Mit Bescheiden, jeweils vom 8. Oktober 1998, wurde der in den ESt-Bescheiden 1992 bis 1994 aufgenommene Vorbehalt der Nachprüfung ...