rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Privates Veräußerungsgeschäft: Gewinn aus der Veräußerung einer bis ins Jahr der Veräußerung zu eigenen Wohnzwecken genutzten und nur die letzten Monate bis zur Veräußerung vermieteten Eigentumswohnung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG nicht einkommensteuerbar
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine innerhalb von zehn Jahren nach ihrem Kauf wieder verkaufte Wohnung bis in das Jahr der Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt und erst beginnend während des Jahres der Veräußerung bis zum Zeitpunkt der Veräußerung (im Streitfall: von April bis Dezember) vermietet, so ist der Gewinn aus der Veräußerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG nicht steuerbar.
2. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG – Nutzung der Wohnung im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken – erfordert keine Ausschließlichkeit der Eigennutzung. Es genügt vielmehr eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen (vgl. BFH-Urteil vom 27.6.2017 – IX R 37/16).
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3, § 22 Nr. 2
Nachgehend
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 20. Mai 2016 in Form der Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2017 wird dahingehend geändert, dass sonstige Einkünfte (Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften) mit 0 EUR (bisher 44.338 EUR) angesetzt werden.
2. Die Berechnung der neu festzusetzenden Steuern wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte teilte den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 S. 3 FGO).
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger im Veranlagungszeitraum 2014 einen steuerbaren Gewinn aus einem Veräußerungsgeschäft bei Grundstücken im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetzt (EStG) erzielt hat.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 16. Juni 2006 eine Eigentumswohnung auf dem Grundstück […] in X für 87.000 EUR, welche er bis April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken nutzte. In den Monaten Mai 2014 bis Dezember 2014 vermietete der Kläger die Wohnung an Dritte. Mit notariellem Kaufvertrag vom 17. Dezember 2014 veräußerte der Kläger die Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 139.000 EUR.
Der Beklagte ermittelte hieraus einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 44.338 EUR und erfasste diesen im Einkommensteuerbescheid vom 20. Mai 2016.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Mai 2016 erhob der Kläger hiergegen Einspruch. Dieses Schreiben befindet sich nicht in den Akten des Beklagten.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten unter Bezugnahme auf sein Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 mit, dass er auf sein Einspruchsschreiben noch keine Antwort erhalten habe und auch über den mit diesem verbundenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht beschieden worden sei. Auf diesem Schreiben hat der Beklagte folgenden handschriftlichen Vermerk angebracht:
„Einspruch liegt nicht vor
Am 5.7.16 telef. Herrn
A mitgeteilt”
Mit Schreiben vom 6. Juli 2016 ließ der Prozessbevollmächtigte unter Bezugnahme auf das am 5. Juli 2016 mit dem Beklagten geführte Telefonat dem Beklagten das Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 „nochmals” zukommen. Weiter war in diesem Schreiben ausgeführt:
„Die zuständige Mitarbeiterin des Finanzamts Y hat mir am Telefon erklärt, dass es nicht erforderlich sei, dass ich einen Antrag stelle auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Ich gehe davon aus, dass es bei dieser Rechtsauffassung des Finanzamts Y verbleibt.”
In dem beigefügten Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 wurde inhaltlich ausgeführt, bei dem Veräußerungsvorgang handele es sich nicht um einen steuerbaren Vorgang. Die Wohnung sei im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorausgegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. § 23 EStG fordere insoweit keine „ausschließliche” Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung. Die Vermietung sei daher – ebenso wie ein Leerstand – unschädlich.
Der Beklagte stellte im weiteren Einspruchsverfahren den – erstmaligen – tatsächlichen Zugang des Einspruchsschreibens am 3...