Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit eines Kindergeld-Rückforderungsbescheids. „Verlangen” der Begehung einer rechtswidrigen Tat i. S. v. § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO. Begriff der öffentlichen Urkunde i. S. v. § 348 StGB. Beweiswirkung eines Verwaltungsakts
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine möglicherweise unrichtige Anwendung der Vorschriften über die Mitwirkungspflichten (§ 68 EStG) und die Aufhebung bzw. Änderung von Kindergeldfestsetzungen (§ 70 Abs. 2 EStG) durch die Familienkasse führt regelmäßig nicht zur Nichtigkeit eines Bescheids über die Rückforderung von Kindergeld.
2. Der Schutzzweck des § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO besteht darin, den Adressaten des Verwaltungsakts davor zu schützen, wirksam zu strafbarem Tun verpflichtet zu werden. Angesichts dessen und des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlauts bedeutet „verlangen” i. S. d. Norm, dass der Verwaltungsakt von seinem Regelungsgehalt her den Betroffenen zu einer rechtswidrigen Tat anhalten, d. h. die Begehung einer rechtswidrigen Tat anordnen muss.
3. Der Begriff der öffentlichen Urkunde i. S. v. § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. Dabei erfasst die Strafbewehrung in § 348 StGB auch bei einer öffentlichen Urkunde nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen und Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d. h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt.
4. Die Beweiswirkung eines Verwaltungsakts erstreckt sich weder auf die Motive für die Entscheidung noch auf deren inhaltliche Richtigkeit im Tenor, in der Beurteilung rechtlicher Vorfragen oder in der Feststellung von Tatsachen, noch auf die sachliche Richtigkeit der darin beschriebenen Umstände.
Normenkette
EStG §§ 68, 70 Abs. 2; AO § 37 Abs. 2, § 125 Abs. 1, 2 Nr. 3; StGB § 348 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 21. April 2017 bezüglich des Kindergeldes für seine Tochter A… (nachfolgend: A.), hilfsweise beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich des vorgenannten Bescheids.
A. ist… 1994 geboren und studiert seit dem Wintersemester 2012/2013 an der Universität X. Der Kläger bezog bis einschließlich Februar 2017 laufend Kindergeld für A.. Mit Bescheid vom 6. Februar 2017 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für A. ab März 2017 auf und stellte die laufende Kindergeldzahlung für A. ein. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe trotz Aufforderung keine Nachweise zum Andauern des Studiums von A. vorgelegt; eine Feststellung des Fortbestehens der Anspruchsvoraussetzungen sei deshalb nicht möglich. Gleichzeitig wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass das Andauern des Studiums zu überprüfen sei und die Festsetzung bzw. Bewilligung des Kindergeldes, wenn das Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen nicht festgestellt werden könne, auch rückwirkend für die Monate aufzuheben sei, für die kein Nachweis über das Andauern des Studiums vorgelegt wurde. Bereits gezahltes Kindergeld sei dann zurückzuzahlen.
Nachdem der Kläger hierauf nicht reagierte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 31. März 2017 mit, in dem Zeitraum August 2012 bis Februar 2017 sei Kindergeld für A. gezahlt worden, obwohl darauf möglicherweise kein Anspruch bestanden habe. Der Kindergeldanspruch für diesen Zeitraum, konkret der Studienverlauf vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2016/2017, sei nicht mehr nachgewiesen. Aufgrund dieses Sachverhalts sei Kindergeld möglicherweise seit August 2012 zu Unrecht gezahlt worden und es müsse geprüft werden, ob die Festsetzung ggf. aufzuheben oder zu ändern sei. Zuviel gezahltes Kindergeld sei in diesem Fall zu erstatten. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 2 Wochen gegeben.
Nachdem keine Reaktion erfolgte, hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für A. mit Bescheid vom 21. April 2017 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab August 2012 auf und forderte das für die Monate August 2012 bis einschließlich Februar 2017 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 10.256 EUR zurück. Der Kläger sei der Aufforderung, Nachweise zum Studienverlauf von A. vorzulegen, nicht nachgekommen. Nachdem nicht festgestellt werden könne, ob ab August 2012 ein Anspruch auf Kindergeld bestehe, sei die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben. Die Aufhebung lasse den Rechtsgrund für die Kindergeldzahlung entfallen. Der überzahlte Betrag sei nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu erstatten. Dieser Bescheid wurde am 24. April 2017 per einfachem Brief zur Übermittlung an den Kläger zur Post aufgegeben. Der Brief ging beim Kläger ein, wurde von ihm jedoch auf einen Stapel mit unbearbeiteter Post abgelegt und blieb dort ungeöffnet liegen.
Ende August/Anfang September 2017, noch innerhalb der Schulferien, waren der Kläger und seine Ehefrau 14 Tage im Urlaub...