Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Erhebung eines besonderen Kirchgelds in Baden
Leitsatz (redaktionell)
1. Das besondere Kirchgeld, das in Baden nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KiStG Baden-Württemberg, § 4 KiStO Baden in Verbindung mit als kirchliche Haushaltsgesetze erlassenen Kirchensteuerbeschlüssen erhoben wird, ist nicht verfassungswidrig und verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, gegen den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung oder gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung.
2. Die Erhebung eines besonderen Kirchgelds ist nicht nur in den Fällen zulässig, in denen der – mit seinem nichtkirchenangehörigen Ehegatten zusammenveranlagte – kirchenangehörige Ehegatte über kein eigenes Einkommen verfügt (Abgrenzung zum BVerfG-Urteil v. 14.12.1965, 1 BvR 606/60, BStBl 1966 I S. 96),sondern auch dann, wenn beide Ehegatten über ein Einkommen verfügen.
3. Es ist in der Rechtsprechung des BVerfG und des BFH geklärt, dass die Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten für die Bemessung des besonderen Kirchgelds, das von Kirchensteuerpflichtigen erhoben wird, deren Ehegatte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, auch dann am Einkommen beider Ehegatten gemessen werden darf, wenn der kirchenangehörige Ehegatte über ein (geringes) eigenes Einkommen verfügt.
Normenkette
KiStG BW § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 7 Abs. 3 S. 2, § 9 Abs. 1, § 19 Abs. 4; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 6; KiStO Baden § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 4 Nr. 4, § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1; EMRK Art. 9
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines besonderen Kirchgelds gegen die Klägerin als evangelische Kirchensteuerpflichtige, deren Ehemann keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört.
Die Klägerin wird mit ihrem Ehemann von dem Beklagten, dem Finanzamt, gemäß § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2015 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von x.xxx EUR. In den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG wurden x.xxx EUR Mutterschafts- und Elterngeld sowie Leistungen gemäß Tz. 15 der Lohnsteuerkarte in Höhe von x.xxx EUR einbezogen. Im Streitjahr 2016 erzielte die Klägerin einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von xxx EUR. In den Progressionsvorbehalt wurde Elterngeld in Höhe von x.xxx EUR einbezogen. Daneben erzielte die Klägerin nach eigenen Angaben Einnahmen aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von x.xxx EUR.
Die Eheleute wurden mit Einkommensteuerbescheiden vom 20. April 2017 für 2015 und vom 3. April 2018 für 2016 antragsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt. Daneben enthalten die Bescheide jeweils die Festsetzung eines Kirchgelds gegen die Klägerin, das von dem zu versteuernden Einkommen der Eheleute unter Berücksichtigung von Freibeträgen für zwei Kinder, mithin im Jahr 2015 von einer Bemessungsgrundlage von xxx.xxx EUR und im Jahr 2016 von einer Bemessungsgrundlage von xxx.xxx EUR erhoben wurde. Das Kirchgeld wurde für 2015 in Höhe von x.xxx EUR und für 2016 in Höhe von x.xxx EUR festgesetzt.
Gegen die mit den Einkommensteuerbescheiden für 2015 und 2016 jeweils verbundenen Festsetzungen eines besonderen Kirchgelds erhob die Klägerin jeweils Einspruch und beantragte die Festsetzung von Kircheneinkommensteuer nach Maßgabe ihres Einkommens gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz – KiStG BW –) in der Fassung vom 15. Juni 1978 (GBl. 1978, 369), für die Streitjahre in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kirchensteuergesetzes vom 21. Oktober 2014 (GBl. 2014, 494).
Sie ließ vortragen, sie verfüge über eigenes Einkommen, das für die Kirchensteuer maßgeblich sei. Wegen Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dürfe die Kirche nur ihre Mitglieder besteuern. Bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten einer glaubensverschiedenen Ehe müsse die Kirche dieses Einkommen besteuern. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Dezember 1965 (1 BvR 606/60, BStBl I 1966, 196), das insoweit gemäß § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz –BVerfGG–) für alle Behörden und Gerichte bindend sei. Dementsprechend schreibe § 19 Abs. 4 KiStG BW vor, dass sich die Kirchensteuer nach dem Anteil des Kirchenmitglieds an der gemeinsamen Einkommensteuer bemesse. Diese zwingende Vorschrift gehe der „Kann-Vorschrift” des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KiStG BW über das besondere Kirchgeld vor. Das besondere Kirchgeld beruhe auf einem sog. „obiter dictum” (lat. nebenbei Gesagtes) in der genannten Entscheidung des BVerfG v...