Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitunternehmerische Betriebsaufspaltung bei mittelbarer Beteiligung über eine GbR an der Besitz-KG und unmittelbarer Beteiligung an der Betriebs-KG: Erstmaliger Erlass eines auf § 174 Abs. 3 AO und § 174 Abs. 4 AO gestützten Einkünfte-Feststellungsbescheids für die GbR nach zuvor unzutreffender Erfassung der von der Besitz-KG erzielten Einkünfte als Sonderbetriebseinnahmen bei der Betriebs-KG. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IV R 19/21)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Besteht eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung zwischen zwei GmbH & Co. KGs, ist eine GbR alleinige Kommanditistin der Besitz-KG, sind die Gesellschafter der GbR auch Gesellschafter der Betriebs-KG, wurden die Beteiligungen der Gesellschafter an der GbR rechtsirrig als Sonderbetriebsvermögen steuerlich der Betriebs-KG zuzugeordnet sowie die bei der Besitz-KG für die GbR festgestellten Einkünfte (Grundlagenbescheid) deshalb (nur) im Feststellungsbescheid gegen die Betriebs-KG als vermeintlichem Folgebescheid erfasst und wird diese unrichtige Erfassung nunmehr rückgängig gemacht, so kann der bei richtiger Behandlung erforderliche, bisher nicht ergangene Folgebescheid für die GbR, in dem ihre Einkünfte aus der Beteiligung an der Besitz-KG einheitlich und gesondert festgestellt werden, gemäß § 174 Abs. 3 AO nachgeholt werden. Dass die Einkünfte der GbR bereits in dem für die Besitz-KG ergangenen Feststellungsbescheid als Grundlagenbescheid bindend festgestellt worden sind, hindert nicht die Anwendung des § 174 Abs. 3 AO, sondern gehört zum maßgeblichen (Lebens-)Sachverhalt im Sinne des § 174 Abs. 3 AO.

2. Wird die unrichtige Erfassung der Einkünfte der Besitz-KG bei der Betriebs-KG (siehe 1.) aufgrund eines Einspruchs der Betriebs-KG korrigiert, so kann die Nachholung der Feststellung der Einkünfte bei der GbR auch auf § 174 Abs. 4 AO gestützt werden. Insoweit ist unerheblich, dass die Einkünfte infolge eines abweichenden Wirtschaftsjahres der Betriebs-KG bei der GbR in einem anderen Kalenderjahr zu erfassen sind.

3. Der einheitliche (Lebens-)Sachverhalt im Sinne des § 174 AO kann auch rechtliche Elemente und Schlussfolgerungen enthalten. Die spezielle Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO schließt eine Anwendung des § 174 AO nicht aus. Beide Vorschriften haben unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen und Anwendungsbereiche. Eine Sperrwirkung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegenüber § 174 AO besteht nicht.

4. Die „Annahme” der Finanzbehörde im Sinne des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO setzt voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt nur in dem anderen Steuerbescheid zu erfassen ist. Die Annahme ist eine innere, subjektive Tatsache; diese subjektive Annahme der Finanzbehörde (bzw. des zuständigen Verwaltungsbeamten) muss für die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts ursächlich geworden sein.

 

Normenkette

AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 5 S. 2, § 171 Abs. 10 S. 1, § 174 Abs. 3 Sätze 1-2, Abs. 4 Sätze 1, 3-4, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist der Ablauf der Feststellungsfrist für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2008.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der die Gesellschafter A und B je zur Hälfte beteiligt sind. Eine Bestimmung über die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis wurde im Gesellschaftsvertrag nicht getroffen (…). Die Klägerin überließ bis zum Jahr 2002 das Grundstück C (im Folgenden: das Grundstück) – zuletzt unentgeltlich – an die D GmbH als Betriebsgrundstück. A und B waren an der D GmbH ebenfalls je zur Hälfte beteiligt und deren Geschäftsführer. Unstreitig bestand eine Betriebsaufspaltung zwischen der Klägerin und der D GmbH.

Im Jahr 2002 veräußerte die Klägerin das Grundstück mit Wirkung (Übergang Besitz, Nutzen und Lasten) zum 01.07.2002 (…) an die E GmbH & Co. KG. Am Kapital der E GmbH & Co. KG war die Klägerin zu 100% als Kommanditistin beteiligt (…). Die E GmbH & Co. KG überließ das Grundstück weiterhin – nunmehr (ab 01.07.2002) allerdings wieder entgeltlich – der D GmbH zur Nutzung (…).

Die D GmbH wurde – mit steuerlicher Rückwirkung zum 01.04.2002 – am 28.11.2002 in die G GmbH & Co. KG umgewandelt, an deren Kapital nach wie vor A und B je zur Hälfte – nunmehr als Kommanditisten – beteiligt waren (vgl. notarielle Urkunde vom 28.11.2002, Allgemeine Akte G GmbH & Co. KG, Bl. 28 ff.). Unstreitig bestand auch zwischen der E GmbH & Co. KG und der G GmbH & Co. KG eine Betriebsaufspaltung. Vom örtlich zuständigen Finanzamt (zunächst Finanzamt F, später Finanzamt H) wurden für die E GmbH & Co. KG Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt.

Nach Umwandlung der D GmbH in die G GmbH & Co. KG ging die Klägerin davon aus, dass das Grundstück ab 01.04.2002 Sonderbetriebsvermögen der Klägerin bei der G GmbH ...

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