Entscheidungsstichwort (Thema)
Technische Nutzungsdauer einer antiquarisch erworbenen, als Arbeitsmittel genutzten Geige
Leitsatz (redaktionell)
Abschreibung einer von einem nichtselbständigen Berufsmusiker erworbenen, aus der Zeit um 1855-1860 stammenden, zum dauernden Gebrauch vorgesehenen Violine ("Jean Baptiste Vuillaume, Paris") auf 50 Jahre.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nrn. 7, 6; EStG § 7Abs 1
Tatbestand
A.
Streitig ist, auf welchen Zeitraum die Anschaffungskosten einer antiquarisch erworbenen Geige für die Bemessung der Absetzungen für Abnutzung (AfA) zu verteilen sind.
Der Kläger bezieht als Mitglied des Orchesters beim ... (1. Stimmführer der 2. Violinen) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn im Streitjahr 1991: ... DM). In der für ihn und seine Ehefrau (Heirat am ... 1991) eingereichten gemeinsamen Einkommensteuererklärung 1991 machte er u. a. eine technische AfA von 10.542 DM aus der Anschaffung einer Violine „Jean Baptiste Vuillaume, Paris” geltend. Nach den vorgelegten Unterlagen hatte die (spätere) Ehefrau des Klägers, ..., das Instrument am 27. Januar 1991 für 115.000 DM von ..., ... erworben. In dem Kaufvertrag wird festgestellt: „Das Instrument befindet sich, wie besehen, in einwandfreiem Zustand. Expertisen zu dieser Geige (Machold, Schweizer Expertenkammer, Vatelot) sind vorhanden und werden von mir sofort zugesand(t). ... Das Instrument ist in allen Teilen Original.” Mit weiterem Kaufvertrag vom 30. Januar 1991 veräußerte ... das Instrument zum gleichen Preis an den Kläger.
Der Beklagte schätzte die technische Nutzungsdauer der aus der Zeit um 1855 bis 1860 stammenden Geige auf 100 Jahre und berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 1991 vom .... AfA von 1.150 DM. Der Einspruch des Klägers, mit dem er unter Bezugnahme auf eine Bestätigung des Geigenbaumeisters ... vom 21. Januar 1994 geltend machte, eine Abschreibungsdauer von 15 Jahren sei angemessen, wurde mit Einspruchsentscheidung vom ... als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger trägt vor: Die Auffassung des Beklagten hinsichtlich der Nutzungsdauer beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die geäußerten Zweifel an der Unabhängigkeit des Gutachters ... seien völlig unzutreffend. Der Beklagte habe auf der Grundlage der von dem Kläger beigebrachten Echtheitsexpertise des Verbandes schweizerischer Geigenbaumeister aufgrund eigener Fachkompetenz die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer festgestellt. Diese Feststellung sei falsch, weil die Expertise nur den Ursprung der Geige und den Zustand beim Kauf dokumentiere. Der Beklagte sei seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Dagegen habe der Kläger unverzüglich sämtliche erforderliche Auskünfte erteilt, eine sachgerechte Schätzung abgegeben und das Gutachten eines anerkannten Sachverständigen zur Verfügung gestellt. Damit habe er seiner Mitwirkungspflicht genügt. Aus Reparaturerläuterungen der Geigenbaumeister ... und ... sowie einer Reparaturrechnung des Geigenbaumeisters ... ergebe sich, daß eine Violine, die im dauernden Gebrauch eines Berufsmusikers stehe, auch einem sehr hohen Verschleiß unterliege. Insbesondere müsse der Korpus für Reparaturarbeiten immer wieder geöffnet werden. Dies sei der „größte anzunehmende Unfall” für ein Instrument und berge die Gefahr, daß dadurch die Qualität der geschlossenen Lackschicht nicht mehr hergestellt werde. Der Beklagte hätte mit leichter Mühe feststellen können, daß es zu der Frage der AfA für wertvolle Orchesterinstrumente eine gefestigte und umfangreiche Rechtsprechung gebe. Niemand sei bisher auf die Idee gekommen. AfA von 100 Jahren anzunehmen. Der Bundesfinanzhof (BFH) gehe selbst für alte Möbel von einer AfA von 20 Jahren aus (Urteil vom 31. Januar 1986 VI R 78/82, BStBl II 1986, 355). Das Hessische Finanzgericht (FG) nehme für Instrumente von Berufsmusikern eine AfA von 15 Jahren an (Urteil vom 24. Februar 1992 3 K 901/90). Weiter werde auf die Urteile des FG Hamburg vom 15. Mai 1985 III 188/82 und des FG Berlin vom 23. Juni 1976 VI 73/75 hingewiesen.
Der Kläger hat zunächst begehrt, die AfA mit 7. v. H. der Anschaffungskosten anzusetzen. In der mündlichen Verhandlung hat er einschränkend beantragt,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1991 ... 1993 und der Einspruchsentscheidung vom ... die AfA für die Geige nach einer Nutzungsdauer von 30 Jahren zu bemessen und dementsprechend die Einkommensteuer herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor: Die Schätzung der Nutzungsdauer durch den Kläger liege deutlich außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens. Diese kurze Nutzungsdauer habe der Kläger bisher nicht glaubhaft gemacht. Abgesehen davon, daß der Geigenbaumeister ... nicht eine voraussichtliche Nutzungsdauer von 15 Jahren, sondern von 15 bis 20, maximal 30 Jahren bestätige, handle es sich dabei nicht um ein Sachverständigengutachten, sondern um ein Parteivorbringen. Der Vorwurf, das Finanzamt habe seine Aufklärungspflicht verletzt und die ergangene Rechtsprechung nicht berücksichtigt,...