Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1994 + 1995. Kein nachträgliches Bekanntwerden und damit keine Änderungsbefugnis des FA nach § 173 AO zum Erlass eines 2. Änderungsbescheides bei zum Zeitpunkt des Erlasses des 1. Änderungsbescheides schon bekannten Tatsachen
Leitsatz (redaktionell)
Hat das für die Einkommensteuer des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers zuständige FA durch eine Kontrollmitteilung des für die GmbH zuständigen FA erfahren, dass der Gesellschafter auf Grund vertraglicher Vereinbarungen gegenüber der GmbH Anwartschaftsrechte auf eine den Sonderausgaben-Vorwegabzug ausschließende Altersversorgung hat, und trotzdem in einem Änderungsbescheid diese Mitteilung nicht verwertet und weiter den ungekürzten Vorwegabzug gewährt, so kann ein weiterer Änderungsbescheid (zur Korrektur des Vorwegabzugs) nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 10 Abs. 3
Tenor
1. Die geänderten Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 vom 9. April 1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 1998 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Finanzamt.
3. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Finanzamt darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
6. Der Streitwert wird auf 3.102,52 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt berechtigt ist, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 wegen neuer Tatsachen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zu Ungunsten des Klägers zu ändern und den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zu kürzen.
Der im Jahr 1954 geborene unverheiratete Kläger war in den streitigen Veranlagungszeiträumen 1994 und 1995 Gesellschaftergeschäftsführer der Firma I-B GmbH mit Sitz in K. Sein Bruttolohn betrug im Jahr 1994 DM 157.763 und im Jahr 1995 DM 171.619. Durch Vertrag vom 1. Dezember 1986 war ihm von der GmbH eine Pensionszusage gewährt worden, für die er keine Beiträge zu leisten hat.
In seinen ohne Mithilfe eines Steuerberaters gefertigten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1991 bis 1993 machte er zu der in den Zeilen 31 und 32 der jeweiligen Anlage N gestellten Frage, ob eine Anwartschaft auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung aus einem aktiven Dienstverhältnis als GmbH-Gesellschaftergeschäftsführer bestehe, keine Angaben. Gleichwohl kürzte das Finanzamt in den Einkommensteuerbescheiden 1991 bis 1993 den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG jeweils auf Null DM.
In der am 9. Februar 1995 eingereichten Einkommensteuererklärung für 1994 gab der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der auch die Jahresabschlüsse der GmbH fertigt, durch Ankreuzen des betreffenden Feldes in Zeile 34 der Anlage N an, für den Kläger habe im Jahr 1994 keine Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung ohne eigene Beitragsleistungen aus der Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer bestanden.
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer 1994 durch Bescheid vom 4. Mai 1995 ohne Vorbehalt der Nachprüfung auf 69.514 DM fest. Dabei berücksichtigte es den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen in ungekürzter Höhe von 6.000 DM.
Die für die Besteuerung der GmbH zuständige Veranlagungsstelle des Finanzamts teilte der für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständigen Veranlagungsstelle mit Schreiben vom 12. Februar 1996 mit, der Kläger habe der GmbH ein Darlehen in Höhe von 110.000 DM gewährt und hierfür im Jahr 1994 Zinsen in Höhe von 7.738 DM erhalten. Außerdem wurde auf Seite 3 dieser Mitteilung auf folgenden Sachverhalt hingewiesen:
„Es bestehen auf Grund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung (Kürzung des Vorwegabzugs § 10 Abs. 3 Nr. Nr. 2 aa, cc EStG).”
Die für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständige Veranlagungsstelle heftete diese Mitteilung bei den Vorgängen für die Einkommensteuerveranlagung 1994 ab (Einkommensteuerakte Blatt 63 und 64). Sie änderte den Einkommensteuerbescheid 1994 durch Bescheid vom 28. Februar 1996 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Berücksichtigung der o.a. Zinsen in Höhe von 7.738 DM und erhöhte die Einkommensteuer 1994 auf 73.607 DM. Eine Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen nahm sie nicht vor. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
In der zwei Wochen nach Ergehen dieses Bescheides am 13. März 1996 eingereichten Einkommensteuererklärung 1995 gab der Prozessbevollmächtigte des Klägers – wie bereits in der Einkommensteuererklärung 1994 – in Zeile 29 der Anlage N an, dass für den Kläger keine Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung oh...