rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch eines entsandten Arbeitnehmers. inländischer Wohnsitz. Rückforderung. Festsetzungsfrist bei unrichtigen Angaben gegenüber der Familienkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. Ob eine Person nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist, hat die Familienkasse unabhängig von der Behandlung durch das zuständige Finanzamt zu prüfen. Es besteht keine Bindungswirkung.
2. Behält ein in das Ausland entsandter Arbeitnehmer eine Wohnung im Inland bei, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die so ausgestattet ist, dass sie ihm jederzeit als Bleibe dienen kann, so ist – widerlegbar – zu vermuten, dass er einen Wohnsitz im Inland hat.
3. Nutzt ein in das Ausland entsandter Arbeitnehmer seine inländische Wohnung allenfalls für kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, kann nicht von der Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes ausgegangen werden.
4. Hält sich der entsandte Arbeitnehmer (hier aufgrund der Reisebeschränkungen infolge der Corona-Pandemie) für mehrere Monate in seiner inländischen Wohnung auf und arbeitet vom Home-Office aus, verfügt er damit (wieder) über einen inländischen Wohnsitz.
5. Unterlässt es der Arbeitnehmer, der Familienkasse seine Entsendung in das Ausland anzuzeigen, obwohl er hierzu verpflichtet und von seinem Arbeitgeber auf diese Verpflichtung hingewiesen worden war, nimmt er damit jedenfalls billigend in Kauf, dass die Familienkasse das Vorliegen der Kindergeldvoraussetzungen nicht überprüft und ihm nicht zustehendes Kindergeld weiterhin bewilligt hat und verwirklicht damit sowohl den objektiven wie auch den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung mit der Folge, dass sich die Festsetzungsfrist für das Kindergeld auf zehn Jahre verlängert.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 68 S. 1, § 70 Abs. 2, § 31 S. 3; AO §§ 8, 169 Abs. 2 S. 2, § 370 Abs. 1, 4 S. 2
Tenor
1. Der Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung von Kindergeld vom 23. November 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2022 wird aufgehoben, soweit die Kindergeldfestsetzung ab Juni 2020 bis Januar 2022 aufgehoben und ausbezahltes Kindergeld für die Zeiträume von Juni 2020 bis Juni 2021 einschließlich Kinderboni für 2020 und 2021, das sind insgesamt XXX Euro, zurückgefordert wurden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 65 % und der Beklagten zu 35 % auferlegt.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 Euro, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 Euro kann die Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
Tatbestand
Streitig ist die Kindergeldberechtigung des Klägers für seine Tochter A (geboren am XX.XX.XXXX) in der Zeit von September 2016 bis Januar 2022 (Monat, in dem die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben wurde).
Der Kläger ist von Beruf B. Er und seine Tochter A sind deutsche Staatsangehörige.
Bereits in den Jahren 2004 bis 2010 war der Kläger von seiner Arbeitgeberin (XY AG) in Amerika zum Einsatz bei der dortigen Tochtergesellschaft entsandt worden. Nach einer Beschäftigung in Deutschland war er von Mai 2012 bis Juni 2016 wiederum nach Amerika entsandt. Dem folgte nach einem Einsatz in Deutschland vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019 eine Entsendung nach Nordamerika zur dortigen Tochtergesellschaft. Diese wurde anschließend zunächst um zwei und danach um ein weiteres Jahr befristet bis zum 31. August 2022 verlängert (vgl. Entsendevereinbarungen; …). Die Arbeitgeberin behielt sich jeweils vor, die Entsendung nach Nordamerika zu beenden und den Kläger kurzfristig nach Deutschland zurück zu berufen (Ziff. 5.2 der Entsendevereinbarung).
Die Ehefrau des Klägers, C, hat ihn ebenso wie das Kind A während seiner Entsendungen nach Amerika und nach Nordamerika begleitet. Dort wohnten sie jeweils in angemieteten Wohnungen.
Der Kläger hielt sich nach seinen Angaben zu folgenden Zeiten in Deutschland und auf Reisen in Europa auf:
Jahr |
Zeitrahmen |
|
Ort |
Adresse |
Kommentar |
2016 |
23.06.–30.08. |
Aufenthalt in Deutschland |
Eigentumswohnung |
a Straße 1, D |
|
2017 |
03.07.–02.08. |
Deutschland |
Eigentumswohnung |
a Straße 1, D |
Dienstreise nach Deutschland mit Familie. Letzte Woche Urlaub. |
2018 |
26.05.–19.06. 08.10.–23.10. |
Deutschland |
Eigentumswohnung |
a Straße 1, D |
Dienstreise nach Deutschland mit Familie |
2019 |
25.04.–10.05. 18.07.–07.08. |
Deutschland Niederlande Frankreich |
Eigentumswohnung |
a Straße 1, D |
Urlaubsreise in Europa mit Familie |
2020 |
11.06.–10.10. |
Deutschland |
Eigentumswohnung |
a Straße 1, D und b Straße 2, E |
Homeoffice, durch Arbeitgeber angeboten während COVID-19 |
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