Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanierung eines Hausgrundstücks mit Kinderspielwiese wegen Dioxinbelastung als außergewöhnliche Belastung. Zwangsläufigkeit aufgrund sittlicher oder rechtlicher Verpflichtung. Einkommensteuer 1997
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwangsläufigkeit im Sinne einer Nichtentziehbarkeit aus sittlichen Gründen liegt erst vor, wenn die Aufwendungspflicht den Steuerpflichtigen individuell trifft, nicht hingegen bereits aufgrund einer allgemeinen, d.h. prinzipiell alle treffenden sittlichen Verpflichtung. Die Pflicht muss einer rechtlichen Verpflichtung gleichkommen; ihre Nichtbefolgung muss als gesellschaftlich oder moralisch anstößig erscheinen. Die durch die Aufwendungen Begünstigten müssen sich in einer akuten Notlage befinden.
2. Die Sanierung eines Grundstücks, auf dem Kinder spielen, über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus erfolgt nicht aufgrund sittlicher Verpflichtung, sondern es handelt sich insoweit um freiwillige, wenn auch durch Verantwortung und Sorge um das Wohlergehen der Kinder nahegelegte Aufwendungen.
3. Eine rechtliche Verpflichtung zur Durchführung der Grundstückssanierung muss bereits vor Beginn der Maßnahme bei Vertragsabschluss bestanden haben. Wird anlässlich der Sanierung eine höhere Dioxinbelastung als ursprünglich angenommen festgestellt, so wirkt diese Feststellung nicht mit der Folge zurück, dass die durchgeführte Maßnahme als aus rechtlichen Gründen zwangsläufig anzusehen wäre.
Normenkette
EStG 1997 § 33 Abs. 2 S. 1, Abs. 1
Nachgehend
Tenor
I. Der Einkommensteuerbescheid 1997 vom 9. Juni 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 1999 wird abgeändert. Die Einkommensteuer wird von bisher 38.326 DM um 1.616 DM auf 18.769,52 Euro (36.710 DM) herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu 88 %, der Beklagte zu 12 %.
III. Das Urteil ist wegen der den Klägern zu erstattenden Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen für die Sanierung eines Hausgrundstücks mit Kinderspielwiese als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden können.
Die Kläger sind Eigentümer des Gesamtgrundstücks Flurstücke Lagebuchnummern 3 und 1 auf Gemarkung R. Auf dem erstgenannten Flurstück befanden sich im Streitjahr 1997 das Wohnhaus der Kläger mit daran anschließender Garage und einer befestigten Gartenterrasse, befestigter Einfahrt, Rasenfläche, Gartenteich und Sträuchern (Bodendecker). Auf dem daran anschließenden Flurstück Nr. 1 befanden sich eine große Rasenfläche mit Obstbäumen (Obstwiese) und Sträuchern sowie einer Holzhütte und Spielgeräten für Kinder (Schaukelgestell, Sandkasten). Auf dem Grundstück spielten die Kinder der Kläger von damals 9 und 7 Jahren sowie Kinder aus der Nachbarschaft.
Mit Schreiben des Landratsamts vom 18. August und 20. September 1994 wurden die Kläger darauf aufmerksam gemacht, dass auf dem Flurstück Nr. 3 eine Dioxinbelastung von 204 ng l-TEq/kg Boden bei einer Tiefe von 0–100 cm sowie ein Oberbodenwert von 441 ng l-TEq/kg Boden und auf dem Flurstück Nr. 1 eine Dioxinbelastung von 2638 ng l-TEq/kg Boden bezogen auf eine Tiefe von 0–100 cm sowie ein Oberbodenwert von 721 ng l-TEq/kg Boden festgestellt worden seien. Zugleich wies das Landratsamt auf das Merkblatt „Gesundheitliche Vorsorgeempfehlungen des Umweltministeriums Baden-Württemberg bei der Nutzung dioxinbelasteter Böden (Stand: Januar 1992)” hin. Darin werden Empfehlungen zur Bodenabdeckung und Bodensanierung gegeben: Der sicherste Weg zum Schutz von im Freien spielenden Kindern sei der Bodenaustausch ab einer bestimmten Dioxinbelastung oder eine dichte Bodenabdeckung. Ab einer Bodenbelastung von 100 ng l-TEq/kg Boden sei ein Bodenaustausch bei Kinderspielplätzen angezeigt. In privaten Gärten sollten offene Bodenflächen, mit denen besonders Kleinkinder in Berührung kommen können, abgedeckt werden. Ausreichenden Schutz böten eine dichte Grasnarbe oder dichtes Buschwerk. Diese Maßnahmen reichten auf privaten Grundstücken aus, da dort die Grasnarbe nicht so intensiv beansprucht werde, wie auf Kinderspielplätzen. Ab einer Belastung von 1000 ng l-TEq/kg Boden sei zum Schutz von Kindern in Siedlungsgebieten ein Bodenaustausch erforderlich.
Gemäß §§ 9 und 10 Bodenschutzgesetz Baden-Württemberg in Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift „Organische Schadstoffe” vom 10. Dezember 1995 war dementsprechend hinsichtlich des Flurstücks Nr. 1 eine Bodensanierung durch Austausch des belasteten Bodens verpflichtend. Demgegenüber bestand für das Flurstück Nr. 3 aufgrund der geringeren gemessenen Belastung kein Sanierungsbedarf. Das Landratsamt empfahl jedoch im Anschluss an die gesundheitlichen Vor...