Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch auf Kindergeld während Untersuchungshaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Abbruch der Berufsausbildung infolge Inhaftierung auf Grund schwerer Straftaten führt zum Verlust des Anspruchs auf Kindergeld.
2. Eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft ist dagegen grundsätzlich unschädlich. Denn in solchen Fällen hat das Kind den Willen, sich der Ausbildung zu unterziehen, ist aber aus objektiven Gründen – Erkrankung oder Mutterschaft – daran gehindert, weil ihm die Ausbildung nicht möglich oder zumutbar ist.
3. Ein ausbildungsplatzsuchendes Kind darf nicht an der Aufnahme der Ausbildung durch Untersuchungshaft gehindert sein.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 S. 1 Nrn. 2a, 2c, § 70 Abs. 2; AO § 37 Abs. 2
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob für ein Kind, das sich nach einer gemeinschaftlich begangenen, zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe führenden schweren Straftat zunächst in Untersuchungshaft befand, Anspruch auf Kindergeld besteht.
Der Kläger bezog für seinen am xx.xx. 1990 geborenen Sohn B von dem beklagten Landesamt für Besoldung und Versorgung … – Familienkasse – Kindergeld. Der Sohn befand sich seit dem 1. September 2007 bei der … GmbH in. in Berufsausbildung zum Straßenbauer. Die Ausbildung sollte am 31. August 2010 enden. Am 29. Mai 2008 verhängte das Amtsgericht X gegen B wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung eine Jugendstrafe von sechs Monaten. Am 29. September 2007 beging B gemeinschaftlich einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Wegen dieser Straftaten wurde der Sohn des Klägers vom Landgericht X durch Urteil vom 12. August 2008 xxx unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts X vom 29. Mai 2008 xxx zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. B befand sich nach vorläufiger Festnahme am 29. Januar 2008 vom 31. Januar 2008 bis 3. Februar 2009 in der Justizvollzugsanstalt Y in Untersuchungshaft. Nach Rechtskraft des Urteils des Landgerichts X wurde der Sohn des Klägers zur Verbüßung der Strafhaft in die Justizvollzugsanstalt Z verlegt.
Mit Schreiben vom 31. März 2008 kündigte die GmbH das Berufsausbildungsverhältnis wegen dessen mehrmonatiger Unterbrechung durch die noch andauernde Untersuchungshaft des Auszubildenden fristlos.
Nachdem der Familienkasse die Inhaftierung des Sohns des Klägers bekannt geworden war, stellte sie die Zahlung des Kindergelds ab 1. November 2008 vorläufig ein und gab dem Kläger mit Schreiben vom 17. November 2008 Gelegenheit, sich dazu zu äußern, dass für die Zeit der Untersuchungshaft wegen Unterbrechung der Ausbildung regelmäßig kein Anspruch auf Kindergeld bestehe, und kündigte den Erlass eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids an. Mit Schreiben vom 16. März 2009 erwiderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierauf, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Juli 2006 III R 69/04 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2006, 2067) entfalle der Kindergeldanspruch für die Zeit der Untersuchungshaft des Kindes nicht. Auf die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses könne nicht abgestellt werden, da diese nach dem Berufsbildungsgesetz schon aus formalen Gründen nicht wirksam sei. Da aus Trennungsgründen die Untersuchungshaft nicht in einer Jugendstrafanstalt vollzogen worden sei, sei es seinem Sohn aus von diesem nicht zu vertretenden Gründen zunächst nicht möglich gewesen, seine Berufsausbildung im Strafvollzug fortzusetzen. Nunmehr in Strafhaft nehme B in einer Jugendvollzugsanstalt an einem Lehrgang im Straßenbau als vorbereitende Ausbildungsmaßnahme teil. Trotz entsprechender Ankündigung legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den angeforderten Ausbildungsvertrag nicht vor.
Durch Bescheid vom 13. Juli 2009 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergelds für B ab 1. April 2008 auf und forderte für die Zeit von 1. April 2008 bis 31. Oktober 2008 rechtsgrundlos gezahltes Kindergeld i.H.v. 1.078 Euro zurück. Kindergeld könne nur gezahlt werden, wenn sich das mehr als 18 Jahre alte Kind in Berufsausbildung befinde. Das Ausbildungsverhältnis sei jedoch zum 31. März 2008 gekündigt worden. Nachweise, dass die Ausbildung während der Haft fortgesetzt werde, seien trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt worden. Wegen Änderung der für den Bezug von Kindergeld erheblichen Verhältnisse werde die Festsetzung des Kindergelds daher nach § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) mit Wirkung vom 1. April 2008 aufgehoben. Das bereits gezahlte Kindergeld sei nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zu erstatten.
Am 15. August 2009 legte der Kläger Einspruch ein, welcher nicht begründet wurde.
Durch Entscheidung vom 20. November 2009 wies die Familienkasse den Einspruch als unbe...