Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlassung von Kühlräumen und Kühlzellen zur Aufbewahrung von Leichen, die Überlassung von Räumlichkeiten zur Abhaltung von Trauerfeiern sowie die sogenannte hygienische Totenversorgung durch ein Bestattungsunternehmen ist nicht umsatzsteuerfrei, sondern Teil einer einheitlichen (komplexen) umsatzsteuerpflichtigen Bestattungsleistung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bietet ein Bestattungsunternehmen zusätzlich zur eigentlichen Bestattung unter anderem die Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen und Kühlzellen sowie die Überlassung von Abschiedsräumen und Räumlichkeiten zur Abhaltung von Trauerfeiern an, so stellen diese zusätzlichen Leistungen keine eigenständigen, ggf. nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfreien Hauptleistungen dar, sondern bilden jeweils zusammen mit der eigentlichen Bestattung eine einheitliche (komplexe) umsatzsteuerpflichtige Leistung. Das gilt auch dann, wenn diese Zusatzleistungen gesondert angeboten und abgerechnet werden (Abgrenzung von BFH, Urteil v. 3.7.2014, V R 1/14; von FG Münster, Urteil v. 29.1.2019, 15 K 2858/15 U, EFG 2019 S. 559).

2. Die Leistung des Bestattungsunternehmens zur hygienischen Totenversorgung stellt eine unselbstständige Nebenleistung zur einheitlichen Hauptleistung der Bestattung dar, die das Schicksal der umsatzsteuerpflichtigen Hauptleistung teilt.

3. Ob die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG anwendbar ist, wenn von Kunden nur die Nutzungsüberlassung der Kühlräume und Kühlzellen, nicht aber die eigentliche Bestattungsleistung in Anspruch genommen wird, blieb im Urteilsfall offen.

 

Normenkette

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9, § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a; MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. l

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Umsätze aus der Überlassung von Kühlräumen und Kühlzellen zur Aufbewahrung von Leichen, die Überlassung von Räumlichkeiten zur Abhaltung von Trauerfeiern sowie die sog. hygienische Totenversorgung steuerfrei sind.

Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft, die im Jahr 1998 gegründet wurde. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb von Bestattungsunternehmen sowie sonstige Tätigkeiten im Zusammenhang mit Dienstleistungen rund um den Trauerfall im In- und Ausland einschließlich der Beteiligung als stiller Gesellschafter. Die Klägerin ist im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft Organträgerin der Organgesellschaften B… GmbH, C… GmbH, D… GmbH, E… GmbH und F… GmbH. Zu den angebotenen Leistungen der Organgesellschaften gehören u.a. die Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen und Kühlzellen, die sog. hygienische Totenversorgung sowie die Überlassung von Abschiedsräumen und Räumlichkeiten zur Abhaltung von Trauerfeiern. Die Leistungen werden nach Aktenlage gesondert angeboten und abgerechnet.

In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate 03/21 bis 12/21 behandelte die Klägerin die streitgegenständlichen Umsätze als steuerpflichtig. Die Steueranmeldungen standen nach § 168 Satz 1 AbgabenordnungAO – einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

Gegen die vom Beklagten erlassenen Bescheide über Umsatzsteuervorauszahlungen für 03/21 bis 12/21, in denen der Beklagte abweichend von den Erklärungen der Klägerin von der Steuerpflicht der erbrachten Leistungen ausgegangen war, legte die Klägerin fristgerecht Einsprüche ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass das Bundesministerium der Finanzen – BMF – mit Schreiben vom 23. November 2020 die Auffassung vertrete, dass die Überlassung von Kühlräumen und Kühlzellen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts – jPöR – im Bereich des Friedhofs- und Bestattungswesens steuerfreie Leistungen seien. Sie, die Klägerin, sowie die sich im umsatzsteuerlichen Organkreis befindlichen Tochtergesellschaften würden diese Leistungen ebenfalls erbringen. Die jPöR träten insoweit in unmittelbare Konkurrenz zur A…-Gruppe. Die Finanzbehörden hätten die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (§ 85 AO, Art. 3 GrundgesetzGG –). Dies bedeute, dass gleichartige Sachverhalte grundsätzlich gleichbehandelt werden müssten. Sie, die Klägerin, und die sich im umsatzsteuerlichen Organkreis befindlichen Tochtergesellschaften seien bisher davon ausgegangen, dass es sich um steuerpflichtige Leistungen handele, sodass diese mit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden seien. Aufgrund des BMF-Schreibens seien im Voranmeldungsmonat 03/21 erstmalig Kühlraum- und Kühlzellenüberlassungen sowie die Überlassung von Räumlichkeiten zur Abhaltung von Trauerfeiern in den Ausgangsrechnungen steuerfrei berechnet und gebucht worden. Mit den Einsprüchen legte die Klägerin Übersichten für die einzelnen Voranmeldungsmonate vor, aus denen sich für die jeweiligen Organgesellschaften der steuerfreie Umsatz, der angemeldete steuerpflichtige Umsatz, die angemeldete Umsatzsteuer, die zuordenbare Vorsteuer und die Reduzierung der Umsatzs...

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