Entscheidungsstichwort (Thema)
Schädliche Verwendung bei fehlerhafter Auszahlung des Altersvorsorgevermögens durch den Anbieter
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine schädliche Verwendung des Altersvorsorgevermögens liegt auch vor, wenn diese durch einen Fehler des Anbieters zustande gekommen ist. Der Steuerpflichtige muss sich den Fehler des Anbieters zurechnen lassen.
2. Die schädliche Verwendung kann nicht durch Rückzahlung bzw. Wiedereinzahlung des ausgezahlten Altersvorsorgevermögens auf den bestehenden Altersvorsorgevertrag rückgängig gemacht werden.
Normenkette
EStG § 93 Abs. 1, § 10a Abs. 4
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin, gefördertes Altersvorsorgevermögen aus ihrem Altersvorsorgevertrag zum Zwecke der wohnungswirtschaftlichen Verwendung zu entnehmen.
Die Klägerin verfügt über einen nach dem Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG) zertifizierten Altersvorsorgevertrag bei der B… AG (Anbieterin) mit der Vertragsnummer …. Der Vertrag wies im Juni 2017 ein Guthaben in Höhe von knapp 25.000 Euro aus.
Die Klägerin ist Miteigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks C…-straße in D…. Für den Erwerb des Grundstücks haben ihr Ehemann und sie bei der Sparkasse ein Darlehen aufgenommen, das im Juni 2017 noch in Höhe von ca. 60.000 Euro bestand.
Am 2. Juni 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gestattung der wohnungswirtschaftlichen Verwendung des Guthabens durch Auszahlung von der Anbieterin auf ihr Darlehenskonto der Klägerin bei der Sparkasse.
Die Anbieterin sandte irrtümlich am 21. Juni eine AZ02-Meldung mit dem Inhalt „datum-SchaedlVerw2017-06-30” an die Beklagte. Die Beklagte übermittelte am 22. Juni 2017 die Mitteilung ZA06, die die AZ02-Meldung bestätigte. Die Anbieterin ihrerseits wertete die ZA06-Mitteilung als Mitteilung gemäß § 92b Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und zahlte das Guthaben aus dem Bausparvertrag der Klägerin – ohne deren Wissen und Willen – an diese aus.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf die Gestattung der wohnungswirtschaftlichen Verwendung des geförderten Altersvorsorgevermögens ab, weil dieses bereits vor dem 30. Juni 2017 schädlich verwendet worden sei. Gleichzeitig erließ die Beklagte einen Bescheid über die Festsetzung des Rückzahlungsbetrages nach § 94 Abs. 2 EStG, nach dem die Klägerin nach Anrechnung des durch Einbehalt aus dem Vertrag getilgten Anteils noch 358 Euro zu zahlen hatte.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Einspruch ein. Die Einsprüche wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 13. April 2018 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass das Altersvorsorgevermögen der Klägerin schädlich verwendet worden sei mit der Folge, dass zum einen die gewährten Vorsorgezulagen und Steuerermäßigungen zurückzugewähren seien und zum anderen die wohnungswirtschaftliche Verwendung mangels Vorhandensein geförderten Altersvorsorgevermögens nicht mehr möglich sei.
Am 11. Juli 2017 zahlte die Klägerin den von der Anbieterin an sie ausgezahlten Betrag wieder auf den Vertrag bei der Anbieterin ein.
Die Klägerin meint, dass eine schädliche Verwendung hier nicht gegeben sei. § 93 Abs. 1 Satz 1 EStG knüpfe eine schädliche Verwendung nicht an eine fehlerhafte Mitteilung eines Anbieters. Der Sachverhalt einer fehlerhaften Mitteilung des Anbieters werde in § 96 Abs. 2 EStG geregelt; dort sei auch eine Haftung des Anbieters vorgesehen. In § 96 Abs. 2 EStG werde nicht die Folge einer schädlichen Verwendung geregelt; die Vorschrift setze vielmehr denklogisch voraus, dass im Falle einer fehlerhaften Mitteilung des Anbieters der Altersvorsorgesparer nicht in Anspruch genommen werde, dass eine schädliche Verwendung gerade nicht gegeben sei. Der Haftungstatbestand des § 96 Abs. 2 EStG mache systematisch nur Sinn, wenn der Altersvorsorgesparer nicht in Anspruch genommen werden könne. Die Rechtsauffassung des Beklagten sei nur dann zutreffend, wenn sie, die Klägerin, sich alle Handlungen und Erklärungen ihres Anbieters zurechnen lassen müsse, selbst dann, wenn es entgegengesetzte Anweisungen gebe. Sie, die Klägerin, habe die Anbieterin angewiesen, das Guthaben erst nach Eingang der Mitteilung der Beklagten gemäß § 92b Abs. 2 Satz 1 EStG auf das Darlehenskonto bei der Sparkasse zu überweisen. Die Klägerin meint, dass den §§ 92a ff. EStG nicht zu entnehmen sei, dass eine solche Zurechnung der Handlungen eines Anbieters anzunehmen sei. Der Gesetzestext gehe bei dem gegebenen Verhältnis von drei Beteiligten zueinander davon aus, dass keine Fehler vorkämen. Sie, die Klägerin, sehe § 92b EStG lediglich als Ordnungsvorschrift an. Zudem ergebe sich aus § 96 Abs. 2 Satz 1 EStG, dass der Anbieter einer Aufsicht der Finanzbehörden unterliege, die bei Fehlverhalten Sanktionen aussprechen könnten, nämlich durch ...