rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Rechtsbehelfsbelehrung zur Vermeidung einer „Unrichtigkeit” i. S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO: gesetzliche Pflichtangaben. freiwillige zusätzliche Hinweise, z. B. zu § 365 Abs. 3 Satz 1 AO und zu § 68 FGO. Hinweise zu E-Mail-Einlegung nicht erforderlich
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nur dann „unrichtig” im Sinne von § 356 Abs. 2 Satz 1 AO mit der Folge einer Jahresfrist, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich ist, dass hierdurch bei objektiver Betrachtung die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie Fristdauer informiert, ist ordnungsgemäß.
2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen. Es besteht jedoch keine Veranlassung, bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
3. Soweit eine Rechtsbehelfsbelehrung über das notwendige Mindestmaß nach § 356 Abs. 1 AO hinausgeht und unabhängig davon, ob dies im konkreten Einzelfall von Bedeutung ist, auch über § 365 Abs. 3 Satz 1 AO und § 68 FGO belehrt und insoweit entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 68 Satz 2 FGO auch den Terminus „ausgeschlossen” verwendet, ist das nicht zu beanstanden (vgl. BFH, Beschluss v. 6.7.2016, XI B 36/16, BStBl 2016 II S. 863).
4. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss nicht die Belehrung enthalten, dass der Beteiligte den Einspruch auch per E-Mail einlegen kann. Sie ist daher nicht unrichtig im Sinne des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie zwar auf die Möglichkeit der elektronischen Einlegung des Einspruchs hinweist, aber keine Angaben dazu enthält, dass der Einspruch elektronisch nur in einer für den Schriftformersatz zugelassenen Form (Stichwort: elektronische Signatur) eingelegt werden kann und dass eine Einspruchseinlegung mittels normaler E-Mail in Ermangelung der Schriftform unzulässig ist, und wenn sie auch nicht darauf hinweist, wo im Falle der elektronischen Übermittlung des Einspruchs dieser eingelegt werden kann.
Normenkette
AO § 355 Abs. 1, § 356 Abs. 2 S. 1, § 357 Abs. 1 S. 1, § 365 Abs. 3 S. 1; FGO § 68 Sätze 1-2
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten u. a. um die Frage, ob die Klägerin fristgerecht Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 17. Juli 2019 betr. Kindergeldfestsetzung für die Tochter B… für die Zeit von Juni 2018 bis Mai 2019 eingelegt hat.
Die 1975 geborene Klägerin beantragte im Monat der Geburt ihrer Tochter (7. Mai 2000) Kindergeld für dieselbe. Das Kindergeld wurde antragsgemäß festgesetzt.
Am 10. April 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Fortzahlung des Kindergeldes für B… für die Zeit ab deren Volljährigkeit und teilte in dem Antrag mit, ihre Tochter befinde sich in einer Ausbildung zur Kauffrau (Groß- und Aussenhandel). Sie fügte eine schriftliche Bestätigung des Ausbildungsbetriebs vom 9. April 2018 bei. Die Ausbildung hatte am 4. September 2017 begonnen. Daraufhin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 25. April 2018 das Kindergeld antragsgemäß unbefristet fest.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2019 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihre Tochter B… seit dem 14. Mai 2019 erwerbstätig sei und fügte eine Kopie des entsprechenden Arbeitsvertrags einer Fa. C… GmbH aus D… bei. Daraufhin hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für B… mit Bescheid vom 31. Mai 2019 für die Zeit ab Juni 2019 auf.
Mittels weiterem Schreiben vom 20. Juni 2019 forderte die Beklagte die Klägerin auf, bis zum 5. Juli 2019 das Ende der begonnenen Berufsausbildung von B… nachzuweisen. Auf dieses Schreiben erfolgte keine Reaktion der Klägerin.
Am 10. Juli 2019 fertigte eine Mitarbeiterin der Beklagten, Frau E…, einen Abgabevermerk an die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Beklagten wegen Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle bat die Festsetzungsstelle mit Schreiben vom 16. Juli 2019 um Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Zeit ab Juni 2018.
Unter Berufung auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hob die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2019 die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter B… für den Zeitraum von Juni 2018 bis einschließlich Mai 2019 auf. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei pflichtwidrig der schriftlichen Aufforderung vom 20. Juni 2019 nicht nachgekommen, das Ende der Ausbildung ihrer Tochter nachzuweisen. Ihre Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Ermittlung des zutreffenden Sachverhalts resultiere aus § 68 Abs. 1 Satz 1 ESt...