Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch des in Deutschland wohnenden Vaters für das volljährige bei der Mutter in Italien in den Haushalt aufgenommene Kind in Ausbildung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Setzt ein in den Haushalt seiner in Italien lebenden, als Ärztin selbstständig tätigen Mutter eingegliedertes, volljähriges Kind nach einem Auslandsjahr seine Schulausbildung in Italien fort, steht – nach dem Ausscheiden einer Konkurrenzsituation gem. Art. 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Folge Nichtzahlung von Familienleistungen bei Volljährigkeit in Italien – dem Kindergeldanspruch des in Deutschland ansässigen und nichtselbstständig tätigen Vaters in gesetzlicher Höhe nicht die Haushaltseingliederung bei der Mutter entgegen.

2. Der in Deutschland bestehende Kindergeldanspruch steht nicht der in Italien lebenden Mutter zu; sie ist nicht kindergeldberechtigt. Die in Art. 60 Abs. 1 S. 2 Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 987/2009 getroffene Regelung bezweckt nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf seine Familienangehörigen zu versagen.

 

Normenkette

EStG § 64 Abs. 2, 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3; EGV 883/2004 Art. 67-68; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 1 S. 1; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a; EGV 987/2009 Art. 60; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 45/14)

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 45/14)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2011 und der dazu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 03. August 2011 verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum Februar 2011 bis August 2011 zu gewähren.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger für seinen im Januar 1993 geborenen Sohn B. für den Zeitraum Februar bis August 2011 Kindergeld zusteht.

Der in Deutschland ansässige und hier als Arzt nichtselbständig tätige Kläger bezog bis einschließlich Januar 2011 das Kindergeld für seinen Sohn B., der bereits seit Januar 2003 mit der Kindesmutter in Italien lebte. Die Kindesmutter war dort als Ärztin selbständig tätig und bezog weder in Deutschland noch in Italien Familienleistungen für B.. Ab Februar 2011 stellte die Beklagte im Hinblick auf den 18. Geburtstag des Kindes die Gewährung des Kindergeldes ein.

Im März 2011 beantragte der Kläger daraufhin die Weitergewährung des Kindergeldes für B.. Er fügte dem Antrag eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des Kindes und eine Schulbescheinigung bei. B. besuchte im streitgegenständlichen Zeitraum bis Juni 2011 ein Gymnasium in C. (Auslandsjahr) und setzte anschließend seine Schulausbildung an einem Gymnasium in Italien fort. Einkünfte oder Bezüge hatte er nicht.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung des Kindergeldes für das Kind B. ab. Da die in Italien lebende Kindesmutter das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe, sei sie vorrangig anspruchsberechtigt.

Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Einspruch.

Die Kindesmutter erhalte in Italien keine Familienleistungen, weshalb sein Anspruch bestehe.

Mit Einspruchsentscheidung vom 03. August 2011 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Für das Kind bestünden konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen in Deutschland und Italien. Das Kind lebe in Italien. Der Kläger sei in Deutschland, die Kindesmutter in Italien erwerbstätig. Die Anspruchskonkurrenz sei nach Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO Nr. 883/2004) aufzulösen. Der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes sei gegenüber dem deutschen Kindergeldanspruch vorrangig [Art. 67, 68 Abs. 1 Buchstabe b) Ziffer i) VO Nr. 883/2004].

Auch eine Gewährung von Differenzkindergeld an den Kläger scheide aus. Denn nach § 64 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) werde das Kindergeld nur einer Person gezahlt. Hier sei dies gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG die Kindesmutter, in deren Haushalt das Kind lebe.

Hiergegen wehrt sich der Kläger mit seiner fristgerecht erhobenen Klage.

Die Kindesmutter erhalte in Italien keine dem Kindergeld vergleichbare Leistungen. Als Beleg hat er eine Bescheinigung vom 10. August 2011 eingereicht, auf die der Senat wegen der näheren Einzelheiten Bezug nimmt.

Nach italienischen Rechtsvorschriften werde grundsätzlich kein Kindergeld für Kinder über 18 Jahre gezahlt. Ferner überschreite das Einkommen der Kindesmutter die dort für den Bezug von Familienleistungen geltenden Einkommensgrenzen. Im Übrigen habe der EuGH im Urteil „Schwemmer” entschieden, dass dem das Kindergeld beanspruchenden Elternteil die fehlende Antragstellung durch den anderen Elte...

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