rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines in Deutschland nichtselbstständig tätigen Vaters für das bei der Mutter, einer selbstständigen Rechtsanwältin, in Großbritannien lebende volljährige, in Berufsausbildung befindliche Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein in Deutschland wohnender, nichtselbstständig tätiger Vater hat auch dann alleine Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn nicht er, sondern die in Großbritannien lebende, dort als selbständige Rechtsanwältin arbeitende Mutter das volljährige, in Ausbildung befindliche Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat. Soweit die Mutter in England Anspruch auf Familienleistungen „UK child benefit”) hat, steht dem Vater nur Differenzkindergeld zu; soweit sie keinen Anspruch auf Familienleistungen hat, steht dem Vater Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu.

2. Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 988/2009 verleiht der in Großbritannien lebenden Mutter keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld für ein in ihrem Haushalt in Großbritannien lebendes Kind. Anspruchsberechtigt i. S. d. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG können nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen gem. § 62 Abs. 1 EStG erfüllen.

 

Normenkette

EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 1 S. 1; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a, Art. 67; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, Abs. 2 S. 2 Hs. 2; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 64 Abs. 1, 2 S. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 46/14)

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 46/14)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2011 und der dazu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 03. August 2011 verpflichtet, dem Kläger das Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe für den Zeitraum Oktober 2010 bis August 2011 und das gesetzliche Kindergeld unter Abzug folgender Beträge für den Zeitraum Mai 2010 bis September 2010 zu gewähren:

Mai 2010

£ 89,90

Juni 2010

£ 87,00

Juli 2010

£ 89,90

August 2010

£ 89,90

September 2010

£ 14,50

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 20% dem Kläger und zu 80% der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger für seinen im Dezember 1991 geborenen Sohn B. für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 Kindergeld zusteht.

B. wuchs bei seiner Mutter in England auf. Sie war dort als Rechtsanwältin selbständig tätig. Der Kläger bezog kein Kindergeld für ihn. Ausweislich einer Auskunft der zuständigen Verbindungsstelle, auf die der Senat wegen der näheren Einzelheiten Bezug nimmt, erhielt die Kindesmutter in England Familienleistungen („UK child benefit”) bis einschließlich September 2010 in der im Tenor genannten Höhe. Im streitgegenständlichen Zeitraum besuchte der Sohn des Klägers bis Juli 2010 ein „C.-College”. Ab September 2010 studierte er an der D. University.

Im März 2011 beantragte der Kläger erstmals die Gewährung des Kindergeldes für B.. Er fügte dem Antrag eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des Kindes und eine Studienbescheinigung bei. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte sein Sohn danach keine Einkünfte oder Bezüge.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung des Kindergeldes für das Kind B. für den Zeitraum ab Mai 2010 ab. Da die in England lebende Kindesmutter das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe, sei sie vorrangig anspruchsberechtigt.

Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Einspruch.

Die Kindesmutter habe in England keine Familienleistungen erhalten, weshalb sein Anspruch bestehe.

Mit Einspruchsentscheidung vom 03. August 2011 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Für das Kind bestünden konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen in Deutschland und Großbritannien.

Die Anspruchskonkurrenz sei nach Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO Nr. 883/2004) aufzulösen. Das Kind lebe in Großbritannien. Der Kläger sei in Deutschland, die Kindesmutter in Großbritannien erwerbstätig. Der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes sei daher gegenüber dem deutschen Kindergeldanspruch vorrangig [Art. 67, 68 Abs. 1 Buchstabe b) Ziffer i) VO Nr. 883/2004].

Auch eine Gewährung von Differenzkindergeld an den Kläger scheide aus. Denn nach § 64 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) werde das Kindergeld nur einer Person gezahlt. Hier sei dies gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG die Kindesmutter, in deren Haushalt das Kind lebe.

Hiergegen wehrt sich der Kläger mit seiner fristgerecht erhobenen Klage.

Die Kindesmutter habe für das Kind B. im streitgegenständlichen Zeitraum in Großbritannien dem Kindergeld vergleichbare Leistungen („child benefit”) ledigl...

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