Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhaftung eines GmbH-Geschäftsführers. Pflicht zur anteiligen Lohnauszahlung bei Liquiditätsschwierigkeiten. Haftungsinanspruchnahme bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes des Insolvenzverwalters. Pflichtverletzung auch bei Tilgungsabsprachen mit Vollziehungsbeamten
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren wegen Lohnsteuerhaftung des Geschäftsführers einer GmbH können die finanziellen Schwierigkeiten der GmbH den für die Abführung von Lohnsteuer verantwortlichen Geschäftsführer nicht ohne weiteres entlasten.
2. Verstößt der Geschäftsführer gegen die Pflicht bei Liquiditätsengpässen die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszuzahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen kann, geht er bewusst das Haftungsrisiko nach § 69 AO ein. Die Nichtrealisierung der Erwartung verbesserter Liquidität liegt in seiner Risikosphäre.
3. Die Pflichtverletzung der nicht rechtzeitige Tilgung einer Steuerschuld ist auch dann ursächlich für den eingetretenen Schaden des FA, wenn der Geschäftsführer verspätet zahlt, die verspätete Zahlung aber in einen Zeitraum fällt, in dem sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter angefochten werden kann.
4. Der GmbH-Geschäftsführer kann nicht gegen die Haftungsinanspruchnahme wegen rückständiger Lohnsteuern vorbringen, er habe mit dem Vollziehungsbeamten des FA eine Übereinkunft über eine bestimmte Zahlungsmodalität bezüglich der rückständigen Lohnsteuerverbindlichkeiten getroffen, denn ein Vollziehungsbeamter ist ausschließlich mit Vollstreckungsangelegenheiten befasst und kann nicht die Pflichten eines Arbeitgebers nach § 41a Abs. 1 EStG zur pünktlichen Abführung von Lohnsteuer außer Kraft setzen.
Normenkette
AO §§ 69, 34 Abs. 1; EStG § 41a Abs. 1; InsO § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als früheren Geschäftsführer einer … GmbH mit Sitz in Berlin (künftig: GmbH) für rückständige Lohnsteuerverbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen kann.
Der 19… geborene Kläger war vom 30. Januar 2002 bis zum 1. Juli 2008 (= Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH) alleiniger GmbHGeschäftsführer der am … Juni 2000 gegründeten GmbH. Unternehmensgegenstand war die Entwicklung und der Vertrieb … sowie von Technologien zur ….
Die GmbH reichte am … Dezember 2007 eine Lohnsteuer- und Lohnkirchensteueranmeldung für den Monat Dezember 2007 mit einer Zahllast in Höhe von insgesamt 7 714,07 EUR beim Beklagten ein. Am … Januar 2008 reichte sie eine Lohnsteueranmeldung für den Monat Januar 2008 mit einer Zahllast in Höhe von insgesamt 7 214,89 EUR ein.
Am … März 2008 wurden aufgrund eines entsprechenden, vom Kläger ausgefüllten Überweisungsauftrags 12 912,60 EUR mit dem hinzugefügten Bestimmungszweck „LSt 12/2007” vom Geschäftskonto der GmbH auf ein Bankkonto des Beklagten transferiert. Der Betrag entsprach centgenau der bereits am 10. Februar 2008 fällig gewordenen Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Dezember 2007.
Am … April 2008 erhielt ein Vollziehungsbeamter des Beklagten den Auftrag, u. a. wegen rückständiger Lohnsteuerverbindlichkeiten der GmbH ab dem Monat Oktober 2007 in das bewegliche Vermögen der Gesellschaft zu vollstrecken. Am …. April 2008 erhielt der Vollziehungsbeamte von der GmbH einen Scheck über 9 000,00 EUR. Am … April 2008 erhielt der Vollziehungsbeamte von der GmbH einen weiteren Scheck über 9 301,57 EUR. Die Deutsche Bundesbank sandte beide Schecks mit dem Vermerk zurück, dass sie vom bezogenen Kreditinstitut mangels Kontodeckung nicht eingelöst worden seien.
Am … Mai 2008 stellte die GmbH, vertreten durch den Kläger, beim Amtsgericht … einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom … Mai 2008 die vorläufige Insolvenzverwaltung an und beauftragte den vorläufigen Insolvenzverwalter, Herrn Rechtsanwalt M. aus B., mit der Erstellung eines Gutachtens über die finanziellen Verhältnisse der GmbH. Dieser stattete am … Juni 2008 sein Gutachten ab. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom … Juli 2008 wurde das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2008 erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Beklagten unter Berufung auf § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) die Anfechtung folgender Zahlungen seitens der GmbH:
4.12.2007 |
2 877,19 EUR |
(Lohnsteuer September 2007) |
7.1.2008 |
405,50 „ |
(Säumniszuschläge zur Lohnsteuer 09/2007) |
4.3.2008 |
12 912,60 „ |
(Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 2007) |
1.4. 2008 |
104,18 „ |
(Kirchensteuer 09/11/12-2007) |
1.4.2008 |
219,00 „ |
(Säumniszuschläge Lohnsteuer Dezember 2007) |
1.4.2008 |
248,00 „ |
(Säumniszuschläge Lohnsteuer November 2007) |
1.4.2008 |
291,53 „ |
(Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer 11/2007) |
1.4.2008 |
362,25 „ |
(Solidaritätszuschlag zur Lohns... |