rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers in den Jahren 2007 bis 2011 infolge Lohnsteuereinbehalts für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer nach der Steuerklasse I trotz Nichtvorlage einer Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG in der vor 2012 gültigen Fassung
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein polnisches Werkvertragsunternehmen im Zeitraum von 2007 bis 2011 beschränkt steuerpflichtige polnische Werkvertragsarbeitnehmer auf Baustellen nach Deutschland entsandt und den Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I vorgenommen, obwohl die erforderlichen Bescheinigungen nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG in der vor 2012 gültigen Fassung nicht vorgelegt wurden, so haftet das Werkvertragsunternehmen nach § 42d EStG für die Differenz zwischen der Lohnsteuer, die tatsächlich nach der Steuerklasse I einbehalten worden ist und die nach der zutreffenden Steuerklasse VI einzubehalten gewesen wäre. Dass mit Einführung des Verfahrens über die Bildung und den Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELSTAM-Verfahren) nach § 39e EStG auch die Vorschrift des § 39d EStG durch das Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG) mit Wirkung ab 1.1.2012 aufgehoben worden ist und dass die bislang für die Ausstellung von Lohnsteuerkarten § 39 EStG zuständigen Gemeinden letztmals im Jahre 2010 Lohnsteuerkarten ausgestellt haben, ändert daran nichts.
2. Die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG hat Schadensersatz- und keinen Strafcharakter. Daher scheidet eine Haftung aus, wenn feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist. Dies setzt aber einen dahingehenden Nachweis des Arbeitgebers voraus. Dafür genügt es nicht, pauschal auf die Arbeitsverträge hinzuweisen, wonach es den beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern untersagt gewesen sei, Mehrfachbeschäftigungsverhältnisse zu begründen.
Normenkette
EStG 2007 § 39d Abs. 1 Sätze 1-3, Abs. 3 Sätze 1, 4, § 39c Abs. 1 S. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1, § 38b S. 2 Nr. 6, § 39 Abs. 4 Nr. 1, § 41c Abs. 2 S. 2; EStG 2010 § 52b Abs. 7, 3, 1; AO § 191 Abs. 1, § 5; FGO § 102
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung polnischen Rechts, die als Werkvertragsunternehmen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft tätig ist. Im hier maßgebenden Zeitraum von 2007 bis 2011 erbrachte die Klägerin aufgrund von Werkverträgen für deutsche Auftraggeber in Deutschland Bauleistungen. Hierbei setzte sie eine Vielzahl eigener polnischer Arbeitnehmer ein, die teils der beschränkten und teils der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlagen.
Die Klägerin unterhielt (zwischen den Beteiligten unstrittig) im Inland eine Betriebsstätte im Sinne von Artikel 5 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Deutschland und Polen in der für den Streitfall maßgebenden Fassung.
Im Rahmen zweier bei der Klägerin durch das vom Beklagten mit der Prüfung beauftragte Finanzamt B… durchgeführter Lohnsteuer-Außenprüfungen betreffend die Zeiträume vom 01.01.2007 bis 31.12.2.2010 bzw. vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2011 – deren Ergebnisse in Lohnsteuer-Außenprüfungsberichten vom 02.08.2012 (für 2011) und vom 16.03.2012 (für 2007 bis 2010) zusammengefasst sind und auf die der Senat wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt (Bl. 7, 10 LSt-Ap.-Akte) – stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin die Lohnsteuer für eine Reihe der von ihr in Deutschland eingesetzten polnischen Werkvertragsarbeitnehmer nach Steuerklasse I berechnete (siehe Anlage 2 zum Bericht), obgleich sie dem für sie örtlich nach Maßgabe des § 20a Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) zuständigen Finanzamt C… keine Bescheinigungen gemäß § 39d Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG alte Fassung) vorgelegt bzw. keine solche Bescheinigung zum Lohnkonto der betreffenden Arbeitnehmer genommen hatte.
Hierauf nahm der Prüfer eine Nachversteuerung vor, indem er die Lohnsteuer nicht mehr nach der Lohnsteuerklasse I (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nach der Lohnsteuerklasse VI berechnete (siehe § 38b Satz 2 Nr. 6 EStG i. V. m. § 49 Abs. 1Nr. 4 Buchst. a) EStG betreffend beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer).
Der Beklagte schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ am 27.03.2012 (für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2010) und am 30.08.2012 für 2011 gegenüber der Klägerin wegen der zuwenig einbehaltenen Lohnsteuer zwei jeweils auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG gestützte Haftungsbescheide über (zunächst) noch 167.667 EUR nebst Solidaritätszuschlag i.H.v. 9.141,96 EUR und römisch-katholische Kirchensteuer i.H.v. 15.065,31 EUR für 2007 bis 2010 bzw. für 2011 i.H.v. 111.473,84 EUR nebst Soli i. H. v. 6.105,19 EUR sowie römisch-katholische KiSt i. H. v. 7.642,49 EUR, auf die das Gericht wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt (Bl. 9 f/Bd. II, 25 f Bd. III der ...