rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein allgemeines Aufrechnungsverbot für Insolvenzgläubiger in der Wohlverhaltensperiode. Aufrechnung gegen Steuervergütungsansprüche aus Neuerwerb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der InsO ist keine die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern in der Wohlverhaltensperiode allgemein ausschließende Bestimmung zu entnehmen. Insbesondere kann eine solche nicht aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hergeleitet werden.

2. Die als Voraussetzung einer Aufrechnung erforderliche Gleichartigkeit der Ansprüche wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Schuldner für ein während der Wohlverhaltensperiode neu gegründetes Unternehmen eine neue Steuernummer zugeteilt worden ist.

 

Normenkette

AO § 226 Abs. 1; BGB § 387; InsO § 294 Abs. 1, 3, § 114 Abs. 2 S. 2, § 96 Nr. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beklagten, mit Einkommensteuerforderungen sowie Forderungen auf Solidaritätszuschlag aus den Jahren 1999/2000 gegen unstreitig bestehende Steuerabzugsbeträge für Bauleistungen in Höhe von EUR 5 076,49 aufzurechnen.

Der Kläger schuldet dem Beklagten diverse Steuern und steuerliche Nebenleistungen aus den Jahren 1996 bis 2000. Am … 2000 wude das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Der Beklagte meldete seine Forderungen zur Tabelle an. Im Dezember 2002 wurde das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit nach § 211 der Insolvenzordnung (InsO) eingestellt. Die Wohlverhaltensphase wurde auf sieben Jahre festgelegt.

Der Kläger eröffnete am … 2006 einen …betrieb. Für diesen Betrieb erteilte der Beklagte ihm eine neue Steuernummer. Aufgrund von Bauleistungen, die der Kläger im Zeitraum von März bis Dezember 2006 erbrachte, ergaben sich Anmeldungen über den Steuerabzug bei Bauleistungen nach § 48 EStG in Höhe von EUR 5 076,49. Der Beklagte zahlte dem Kläger das entsprechende Guthaben nicht aus, sondern buchte es auf Einkommensteuer 1999 sowie Solidaritätszuschläge zur Lohnsteuer für die Monate Juni 1999 bis April 2000 zu der Steuernummer … um. Der Kläger widersprach den Umbuchungen. Am 25. April 2008 erließ der Beklagte daraufhin den hier angefochtenen Abrechnungsbescheid. Der Einspruch des Klägers dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 21. April 2008).

Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte das ihm, dem Kläger, zustehende Guthaben nicht mit Steuerschulden aus den Jahren 1999 und 2000 zu einer von seiner jetzigen Steuernummer abweichenden Steuernummer aufrechnen dürfe. Zudem sei, da eine Anrechnung nach § 48c des Einkommensteuergesetzes (EStG) hier nicht möglich sei, auch die Aufrechnung nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht möglich. Ferner meint der Kläger, dass das Verhalten des Beklagten der Intention der Insolvenzordnung widerspreche, die darin bestehe, insolvenzgefährdeten Unternehmen das Weiterleben zu ermöglichen. Letztlich sei es das Ziel der Insolvenzordnung, die Insolvenzmasse zu vergrößern und Vorrechte bestimmter Gläubiger, wie etwa des Fiskus, zu beschränken. Mit der Restschuldbefreiung solle ihm, dem Kläger, die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs gegeben werden. Diese Möglichkeit werde vereitelt, wenn die Auszahlung des existentiell notwendigen Guthabens aus Steuerabzugsbeträgen durch Aufrechnung von Insolvenzforderungen verhindert werde.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 25. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. April 2009 aufzuheben,

sowie,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Aufrechnung vorgelegen hätten und insolvenzrechtliche Vorschriften der Aufrechnung nicht entgegenstünden. Auch aus den Vorschriften über das Restschuldbefreiungsverfahren ergebe sich kein Aufrechnungsverbot. In der Wohlverhaltensphase sei zwar die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners verboten, nicht aber die Aufrechnung mit bestehenden Forderungen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war zur Aufrechnung mit dem dem Kläger zustehenden Guthaben berechtigt.

Die Voraussetzungen für die Aufrechnung, insbesondere gemäß § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen, Erfüllbarkeit der Hauptforderung und Fälligkeit der Gegenforderung – lagen vor. Es fehlt insbesondere nicht etwa deshalb an der Gegenseitigkeit der Forderungen, weil dem Kläger für sein neu eröffnetes...

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