rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Aufrechnung gegen Vorsteuererstattungsanspruch in Wohlverhaltensphase
Leitsatz (redaktionell)
1. Das FA ist berechtigt, in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens mit einem Vorsteuererstattungsanspruch aufzurechnen.
2. Ein allgemeines Aufrechnungsverbot für sämtliche am Restschuldbefreiungsverfahren teilnehmende Gläubiger lässt sich nicht aus dem Postulat einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung herleiten.
Normenkette
AO § 226; InsO § 294 Abs. 1, 3, § 96 Nr. 1; BGB § 387; UStG § 15 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beklagten, mit Lohn-, Umsatz- und Gewerbesteuerforderungen aus den Jahren 1999/2000 gegen einen unstreitig bestehenden Vorsteuererstattungsanspruch des Klägers aus den Umsatzsteuer-Voranmeldungen Mai, Juni und Juli 2007 in Höhe von EUR 7 965,87 aufzurechnen.
Der Kläger schuldet dem Beklagten diverse Steuern und steuerliche Nebenleistungen aus den Jahren 1996 bis 2000. Am … April 2000 wude das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Der Beklagte meldete seine Forderungen zur Tabelle an. Im Dezember 2002 wurde das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit nach § 211 der Insolvenzordnung (InsO) eingestellt. Die Wohlverhaltensphase wurde auf sieben Jahre festgelegt.
Der Kläger eröffnete am … 2006 einen …betrieb. Aus seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Mai, Juni und Juli 2007 ergaben sich Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt EUR 7 965,87. Der Beklagte zahlte diese jedoch nicht aus, sondern rechnete dagegen mit Lohn-, Umsatz- und Gewerbesteuerforderungen aus den Jahren 1999/2000 auf. Der Kläger widersprach den Umbuchungen. Am 11. September 2007 erließ der Beklagte den hier angefochtenen Abrechnungsbescheid. Der Einspruch des Klägers dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 2008).
Der Kläger ist der Auffassung, dass das Verhalten des Beklagten der Intention der Insolvenzordnung widerspreche, die darin bestehe, insolvenzgefährdeten Unternehmen das Weiterleben zu ermöglichen. Letztlich sei es das Ziel der Insolvenzordnung, die Insolvenzmasse zu vergrößern und Vorrechte bestimmter Gläubiger, wie etwa des Fiskus, zu beschränken. Mit der Restschuldbefreiung solle ihm, dem Kläger, die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs gegeben werden. Diese Möglichkeit werde vereitelt, wenn die Auszahlung des existentiell notwendigen Vorsteuerguthabens durch Aufrechnung von Insolvenzforderungen verhindert werde.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 11. September 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 2008 aufzuheben,
sowie,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Aufrechnung vorgelegen hätten und insolvenzrechtliche Vorschriften der Aufrechnung nicht entgegenstünden. Auch aus den Vorschriften über das Restschuldbefreiungsverfahren ergebe sich kein Aufrechnungsverbot. In der Wohlverhaltensphase sei zwar die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners verboten, nicht aber die Aufrechnung mit bestehenden Forderungen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war zur Aufrechnung mit den dem Kläger zustehenden Vorsteuererstattungsbeträgen berechtigt.
Die Voraussetzungen für die Aufrechnung, insbesondere gemäß § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen, Erfüllbarkeit der Hauptforderung und Fälligkeit der Gegenforderung – lagen, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, vor.
Ebenfalls nicht streitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 94 ff. InsO nach der Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr eingreifen.
Andere gesetzliche Bestimmungen, die dem Kläger zur Seite stehen, indem sie dem Beklagten die Aufrechnung mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens untersagen, fehlen. In diesem Sinne haben sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch der Bundesfinanzhof (BFH), letzterer mittlerweile in ständiger Rechtsprechung, festgestellt, dass der InsO keine die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern in der Wohlverhaltensperiode allgemein ausschließende Bestimmung zu entnehmen sei. Insbesondere könne eine solche nicht aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hergeleitet werden. Eine willkürliche Privilegierung dessen, der sich vor anderen Gläubigern durch Aufrechnung befriedigen könne, liege darin nicht...