Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch eines Steuerpflichtigen auf unentgeltliche Zurverfügungstellung elektronischer Kopien der Steuerakten der Finanzbehörde. restriktive Auslegung von Art. 15 Abs. 3 DSGVO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist zwar auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Finanzbehörden anwendbar, Art. 15 Abs. 3 DSGVO ist jedoch restriktiv auszulegen. Daher hat der Steuerpflichtige weder nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO und Art. 15 Abs. 3 DGSVO noch nach landesrechtlichem Informationsfreiheitsgesetz (hier: des Landes Berlin) noch nach dem prozessrechtlichen Akteneinsichtsrecht im finanzgerichtlichen Verfahren einen Anspruch auf Zurverfügungstellung von Kopien personenbezogener Daten in Gestalt von (elektronischen) Doppeln ganzer Akten durch Finanzbehörden.
2. Selbst wenn Art. 15 Abs. 3 DSGVO extensiv dahingehend auszulegen sein sollte, dass er dem Berechtigten einen Anspruch auf Zurverfügungstellung von Kopien gewährt, wäre das Begehren des Steuerpflichtigen – von der Finanzbehörde unentgeltlich zur Verfügung zu stellende elektronische Kopien der Verwaltungsakten, Betriebsprüfungsakten, Rechtsbehelfsakten, etwaiger Handakten, sämtlicher Gesprächsnotizen und Telefonvermerke über die Person des Steuerpflichtigen – als exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO anzusehen, sodass die Finanzbehörde als Auskunftsverpflichtete die Auskunft verweigern kann (Abgrenzung zu BGH, Urteil v. 15.6.2021, VI ZR 576/19, NJW 2021 S. 2726).
3. Art. 15 Abs. 1 DSGVO und Art. 15 Abs. 3 DSGVO enthalten nicht zwei voneinander unabhängige Ansprüche, sondern einen einheitlichen Anspruch.
Normenkette
AO §§ 2a, 91; DSGVO Art. 15 Abs. 1, 3; VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nrn. 1, 7, Art. 12 Abs. 5 Sätze 2-3, Art. 15 Abs. 1, 3 Sätze 1, 3; EG RL 95/46; AEUV Art. 288; IFG Berlin § 3 Abs. 1; IFG Berlin § 4 Abs. 1; IFG Berlin § 13; FGO § 78
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Verpflichtung des Beklagten (im Folgenden auch: Finanzamt), nach Art. 15 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG –DSGVO– Kopien personenbezogener Daten in Gestalt von (elektronischen) Doppeln von Akten zur Verfügung zu stellen.
Der Kläger betreibt gegen das Finanzamt beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg ein unter dem Aktenzeichen 5 K 5093/20 geführtes Klageverfahren wegen der Gewerbesteuermessbeträge 2013 bis 2015, die durch das Finanzamt festgesetzt wurden.
In diesem Verfahren begehrt der Kläger (auch) gegenüber dem Beklagten Zurverfügungstellung von personenbezogenen Daten seiner Akten in elektronischer Form, hilfsweise in Form unentgeltlicher Kopien.
Zunächst beantragte der Kläger über das Gericht mit Schreiben vom 19.08.2020 im Verfahren 5 K 5093/20 elektronisch über das System „besonderes elektronisches Anwaltspostfach” (beA), dass der Beklagte die gespeicherten Daten in entsprechender Anwendung des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO elektronisch zur Verfügung stellt.
Auf das Begehren des Klägers, an ihn gerichtet über das Gericht, reagierte der Beklagte nicht, so dass sich der Kläger, ebenfalls über das Gericht, dazu veranlasst sah, mit Schreiben vom 24.09.2020 über das elektronische System beA eine Sachstandsanfrage an den Beklagten zu richten. Dazu erging keine Mitteilung des FA.
Da das Gericht den elektronischen beA-Antrag nicht elektronisch an den Beklagten weiterleitete, hat der Kläger den Antrag vom 19.08.2020 elektronisch durch Email vom 14.10.2020 unmittelbar gegenüber dem Beklagten wiederholt und gleichzeitig den Antrag gestellt, die begehrten Unterlagen in Kopie nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO unentgeltlich zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Dieses Begehren des Klägers wurde durch Schreiben des Beklagten vom 21.10.2020 abgelehnt. Mit der hiesigen, am 03.11.2020 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Zur Begründung führt er an, die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO seien erfüllt. Sinn und Zweck des Auskunftsrechts sei unter Wertung von Erwägungsgrund 63, dem Betroffenen die problemlose Möglichkeit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zu geben. Zwar regele die DSGVO nicht ausdrücklich ein Recht auf Akteneinsicht, da in den Akten des Beklagten aber personenbezogene Daten verarbeitet werden, sei die begehrte Einsicht in elektronischer Form schon im allgemeinen Auskunftsanspruch des Art. 15 DSGVO enthalten.
In der mündlichen Verhandlung weist der Kläger auf das Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 15.06.2021 (Az.: VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726) hin, wonach der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO eines Versicherungsnehmer...