Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Beschränkung der Auswertung eines Grundlagenbescheides. Verwirkung. Treu und Glauben. Einkommensteuer 1996, gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31.12.1995
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides bedeutet, dass das für den Erlass des Folgebescheides zuständige Finanzamt verpflichtet ist, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Eine zeitliche Beschränkung ergibt sich allein aus den Vorschriften über die Festsetzungs- bzw. Feststellungsverjährung.
2. Wurde ein in einem Grundlagenbescheid für den Steuerpflichtigen festgestellter Verlust im Folgebescheid versehentlich doppelt berücksichtigt, so ist eine Berichtigung dieses Versehens auch 3 Jahre und 11 Monate nach Erlass des Grundlagenbescheides und auch dann nicht verwirkt, wenn das Finanzamt den Folgebescheid zwischenzeitlich bereits einige Male geändert hat, ohne die doppelte Verlustberücksichtigung zu bemerken und zu berichtigen.
3. Ist die fehlerhafte Doppelberücksichtigung allein schon aufgrund der Höhe der „zusätzlich” berücksichtigten Verluste für den Steuerpflichtigen offenkundig, so kann er einer Berichtigung nicht entgegenhalten, das Finanzamt sei an seine vorherige – unzutreffende – Sachbehandlung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger erklärte für das Jahr 1995 Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt 257.169 DM, resultierend aus der Beteiligung an 5 Gesellschaften. Darin sind nach der der Erklärung beigefügten Aufstellung Verluste aus der Zweiten X. GmbH und Co KG (Zweite KG) in Höhe von 201.821 DM enthalten. Der Beklagte berücksichtigte die Verluste insgesamt wie erklärt bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1995 mit Bescheid vom 13. Juni 1997.
Der Anteil des Klägers am Verlust der Zweite KG wurde mit dem unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 6. November 1997 auf 201.821 DM festgestellt. Mit dem unter Verweis auf diesen Feststellungsbescheid geänderten Einkommensteuerbescheid 1995 vom 9. Dezember 1997 berücksichtigte der Beklagte nunmehr insgesamt einen Verlust aus Gewerbebetrieb beim Kläger in Höhe von 458.990 DM und stellte den vortragsfähigen Verlust zum 31.12.1995 auf 227. 985 DM fest. Die Einkommensteuer 1996 setzte der Beklagte u.a. unter Berücksichtigung dieses Verlustes mit Bescheid vom 6. Mai 1998 auf 0,–DM fest und stellte einen verbleibenden vortragsfähigen Verlust zum 31.12.1996 auf 4.346 DM fest. Der Beklagte änderte den Einkommensteuerbescheid 1995 nach Aktenlage aufgrund der Mitteilung der Einkünfte des Klägers aus der Vierten KG vom 26. November 1997 durch Änderungsbescheid vom 19. Februar 1998 und berücksichtigte nunmehr insgesamt Verluste in Höhe von 488.705 DM und stellte den vortragsfähigen Verlust zum 31.12.1995 auf 257.700 DM fest. Bei der Auswertung der ESt 4 B Mitteilungen für die Dritte KG vom 16. Juli 2001 sowie für die Y. GmbH und Co KG vom 14. Juni 2001 stellte der Beklagte die doppelte Erfassung des Beteiligungsverlustes aus der Zweite KG fest und erließ am 9. November 2001 einen nach § 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1995. Der Beklagte verwies in der Begründung auf den Feststellungsbescheid vom 16. Juli 2001. Mit Bescheiden vom gleichen Tag hob der Beklagte den Bescheid über den vortragsfähigen Verlust zum 31.12.1995 vom 19. Februar 1998 auf, änderte den Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 29. März 1999 und hob den Bescheid über den vortragsfähigen Verlust zum 31.12.1996 vom gleichen Tag auf. Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die geänderten Bescheide als unbegründet zurück.
Mit der dagegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1995 beruhe nicht auf einem geänderten Feststellungsbescheid für die Zweite KG. Dem Steuerberater sei nach Erhalt des Bescheides vom Dezember 1997 telefonisch die Auskunft erteilt worden, der Bescheid sei in Ordnung. Die Einkommensteuerfestsetzung für 1995 sei dann nachfolgend mehrfach geändert worden, wobei erst im angefochtenen Bescheid und mithin fast 4 Jahre nach Vorliegen des Feststellungsbescheides, die Beteiligungseinkünfte für die Zweite KG richtig erfasst worden seien. Aufgrund der mehrfachen Änderungen bis 1998 sei er davon ausgegangen, dass sich, wenn überhaupt, nur noch Änderungen aufgrund der Betriebsprüfung ergeben könnten. Nachdem die Betriebsprüfung jedoch zu keiner Änderung bei der Zweite KG geführt habe, zudem am 19. Juni 2001 eine tatsächliche Verständigung erfolgt sei, habe er seine Ehefrau im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 17. Juli 2001 von sämtlichen Einkommensteuernachzahlungen freigestellt. Weiter habe er Darlehen zur Zahlung der...