Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung. Kein schuldhaftes Verhalten eines GmbH-Geschäftsführers, dem die Beantragung des Gesamtvollstreckungsverfahrens durch die Gesellschafter untersagt wird. Haftung für Umsatzsteuer
Leitsatz (redaktionell)
Der Geschäftsführer einer GmbH handelt nicht haftungsbegründend schuldhaft, wenn er innerhalb von zwei Monaten nach der Übernahme seines Amtes die Aufgaben und Verbindlichkeiten der Gesellschaft feststellt, sodann mit dem Ziel der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einberuft, die ihm dies jedoch untersagt und ihn von seinen Aufgaben beurlaubt. Bei dieser Sachlage haftet der Geschäftsführer nicht wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen und Nichtzahlung für Steuerschulden der Gesellschaft.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 16. Januar 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Beschluss:
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Kläger sind die Gesamtrechtsnachfolger des am 14. Oktober 2004 verstorbenen Christian A. Dieser war seit dem 12. August 1999 Geschäftsführer der W. Verwaltungen GmbH – im Folgenden: GmbH –, deren Gesellschafterin die X. AG L. war. Bis zum 12. August 1999 war Herr Dr. B. Geschäftsführer der GmbH gewesen.
Im Oktober 1999 berief Herr A. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der GmbH ein, um über die Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH beschließen zu können. Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1999 erklärte die Gesellschafterin der GmbH, die X. AG L., alle Verbindlichkeiten der GmbH zu übernehmen, und untersagte Herrn A. zugleich, einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zu stellen. Mit Schreiben vom 03. November 1999 beurlaubte die X. AG Herrn A. mit sofortiger Wirkung von seiner Geschäftsführertätigkeit. Zugleich forderte die X. AG Herrn A. auf, sämtliche Unterlagen der GmbH sowie die Schlüssel für die Betriebsstätte zur Abholung bereit zu stellen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 15. November 1999 wurde Herr A. als Geschäftsführer der GmbH mit sofortiger Wirkung abberufen und Herr Wilfried C. als Notgeschäftsführer eingesetzt.
Mit Haftungsbescheid vom 16. Januar 2001 nahm der Beklagte Herrn A. für Umsatz- und Körperschaftsteuerschulden der GmbH in Höhe von insgesamt DM 34.893,97 in Anspruch. Die Inanspruchnahme stützte der Beklagte auf § 69 in Verbindung mit § 34 Abgabenordnung – AO –. Der Beklagte führte aus, dass Herr A. seine Pflichten als Geschäftsführer der GmbH nicht erfüllt habe und die fälligen Steuern für 1996 aus den von ihm verwalteten Mitteln nicht entrichtet sowie die Steuererklärungen für 1997 nicht abgegeben habe. Da er die Haftungsanfrage nicht beantwortet habe, hafte er in vollem Umfang für die Steuerschulden der GmbH. Weiterhin nahm der Beklagte den früheren Geschäftsführer Dr. Klaus-Peter B. mit Bescheid vom 23. Februar 2000 ebenfalls in Anspruch.
Gegen den Haftungsbescheid legte Herr A. fristgerecht Einspruch ein und führte aus, dass er nur für kurze Zeit Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Während dieser Zeit habe er die Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Ihm sei untersagt worden, das Betriebsgelände der GmbH zu betreten, so dass er keine weiteren Unterlagen beibringen könne. Unverständlich sei für ihn, weshalb der Beklagte nicht von Herrn Dr. B. die Abgabe der Steuererklärungen angefordert habe. Die Buchführungsunterlagen befänden sich bei Herrn Dr. B. oder im Steuerbüro, das wegen ausstehender Rechnungen zu einer weiteren Mitarbeit nicht bereit sei.
Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens übersandte Herr A. betriebswirtschaftliche Auswertungen – BWA – und Saldenlisten der W. GmbH & Co KG. Herr A. führte aus, dass sich aus diesen Unterlagen eine Tilgungsquote in Höhe von 29,3 Prozent ergebe, er mithin DM 14.573,75 an den Beklagten hätte entrichten müssen; tatsächlich habe er jedoch DM 27.032,39 gezahlt.
Während des Einspruchsverfahrens hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg die Vollziehung des Haftungsbescheids in vollem Umfang mit Beschluss vom 15. Juli 2002 ausgesetzt (Az. 4 V 969/02).
Mit Einspruchsentscheidung vom 27. März 2002 setzte der Beklagte die Haftungssumme auf EUR 6.486,34 herab und ging hierbei von einer Tilgungsquote in Höhe von 50 Prozent aus. Die Haftung erstreckte sich auf Umsatzsteuer 1996 nebst Zinsen, fällig am 30. September 1998, Umsatzsteuer 1997 nebst Verspätungszuschlägen, fällig am 07. Februar 2000, Körperschaftsteuer 1996 nebst Zinsen und Verspätungszuschlägen, fällig am 28. Oktober 1998, Körperschaftsteuer 1997 nebst Zinsen und Verspätungszuschlägen, fällig am 07. Februar 2000, sowie auf Nebenleistungen zur Körperschaftsteuer IV/1997, IV/1998, 1996 und 1997. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Einspruchsentscheidun...