Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Verfügungsberechtigten. Schätzung der Lohnsteuer bei einer Vielzahl von Arbeitnehmern. Ausländische GmbH als inländischer Arbeitgeber. Haftender für eine nicht zur Eintragung gelangte GmbH. Spätester Zeitpunkt für die Ausübung des Haftungsermessens. Ordnungsgemäßes Auswahlermessen. Haftung für Lohn- und Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
1. Neben oder an die Stelle des Geschäftsführers einer GmbH kann als weiterer haftender Gesamtschuldner ein Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO treten, wenn der Geschäftsführer seine Vertreterpflichten gemäß § 69 Satz 1 AO haftungsbegründend grob fahrlässig verletzt, indem er über die von ihm nach § 34 Abs. 1 AO zu verwaltenden Mittel der Gesellschaft einen Dritten nach freiem Belieben verfügen lässt. Dass der Dritte auch gegenüber dem Finanzamt oder überhaupt in steuerlichen Angelegenheiten als Verfügungsberechtigter auftritt, ist nicht erforderlich.
2. Betrifft die gesamtschuldnerische Haftung die Nichteinbehaltung von Lohnsteuer bei einer Vielzahl von Arbeitnehmern, so ist eine Inanspruchnahme des Haftenden in Anwendung eines regelmäßig als Bruttodurchschnittssteuersatz zu schätzenden Steuersatzes ermessensgerecht.
3. Wird die Lohnsteuer von einer im Inland tätigen ausländischen GmbH verkürzt, so haftet sie nach Maßgabe der §§ 42d, 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, wenn sie im Inland eine Geschäftsstelle im Sinne des § 12 Satz 2 Nr. 3 AO unterhält. Als solche kann auch die inländische Wohnung des Geschäftsführers einer ausländischen GmbH in Betracht kommen, ohne dass sich dort der inländische Mittelpunkt der ausländischen GmbH befinden muss.
4. Gelangt eine nach ihrer vertraglichen Gründung bereits faktisch als solche im Geschäftsverkehr auftretende GmbH nicht zur Eintragung ins Handelsregister, so ist es für die Lohnsteuerhaftung der für die Vermögensmasse als Geschäftsführer oder Verfügungsberechtigter auftretenden Person ohne Belang, ob sie im Falle nicht einbehaltener Lohnsteuer wegen schuldhafter Verletzung ihrer Vertreterpflichten nach §§ 69 Satz 1, 34 Abs. 1, 35 AO, als nach §§ 191 Abschnitt. 4 AO, 11 Abs. 2 GmbHG zivilrechtlich Haftende oder nach § 42d EStG als Arbeitgeber einer Einzelfirma in Anspruch genommen wird.
5. Besteht für das Finanzamt ein Auswahlermessen zwischen mehreren haftenden Gesamtschuldnern, so muss es spätestens in der Einspruchsentscheidung zum Ausdruck bringen, warum es den in Haftung genommenen Gesamtschuldner an Stelle anderer möglicher Gesamtschuldner ausgewählt hat.
6. Das Auswahlermessen ist ordnungsgemäß ausgeübt, wenn nur derjenige Gesamtschuldner in Steuerhaftung genommen wird, den ein schwererer Schuldvorwurf an der jeweiligen Steuerverkürzung trifft. Das ist dann der Fall, wenn einem der Gesamtschuldner vorsätzliches Handeln oder gar eine Steuerhinterziehung vorwerfbar ist.
7. Stehen unabhängig vom Grad des jeweiligen Verschuldens ein in- und ausländischer Gesamtschuldner zur Auswahl, so ist es, ohne dass es dafür einer besonderen Begründung bedarf, stets ermessensgerecht, wenn sich das Finanzamt für die Inanspruchnahme des inländischen Gesamtschuldners entscheidet.
Normenkette
AO § 191 Abs. 1 S. 1; AO § 191 Abschn. 4; FGO § 102; AO § 69 S. 1, §§ 35, 34 Abs. 1, § 44 Abs. 1, §§ 162, 12 S. 2 Nr. 3; EStG § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 41a, 41 Abs. 2 S. 1, §§ 42d, 41; GmbHG § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 1
Beteiligte
Finanzamt Saarlouis, vertreten durch den Vorsteher |
Tenor
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger dem Grunde wie der Höhe nach gemäß §§ 191, 69, 71, 35 Abgabenordnung (AO), 42d Einkommensteuergesetz (EStG) als haftender Verfügungsberechtigter mehrerer deutscher und luxemburgischer GmbH bzw. als Arbeitgeber der beiden luxemburgischen Unternehmen in den Jahren 1985 bis 1992 wegen hinterzogener Lohnabzugsteuern zu Recht in Haftung genommen worden ist.
Der Kläger gründete 1978 zusammen mit seiner Ehefrau die C-GmbH, D, als deren alleiniger Geschäftsführer er am 24. April 1979 in Handelsregister eingetragen wurde. Wesentlicher Unternehmensgegenstand war die Durchführung von Gips- und Verputzarbeiten (Bl. 2 ff. Verträge; 25 StrafA I). In der Folgezeit wurde seine Ehefrau alleinige Gesellschafterin und – ab 26. Oktober 1982 – auch alleinige Geschäftsführerin der Gesellschaft (Bl. 21 Verträge; 25 StrafA I). Am 1. März 1988 wurde an ihrer Stelle Herr NS als Geschäftsführer eingesetzt und am 5. Mai 1988 als solcher ins Handelsregister eingetragen (Bl. 26 StrafA I; 35 Verträge).
Am 25. Oktober 1989 erwarb Herr NP die Gesellschaftsanteile der C-GmbH zum Preise von 1 DM. Zugleich firmierte er die Gesellschaft in „NP-GmbH” um, verlegte den Sitz der Gesellschaft nach B. und übernahm ihre Geschäftsführung. Zur Eintragung dieser Maßnahmen in das Handelsregister des Amtsgerichts Z. kam es nicht (Bl. 30-45, 134 StrafA I).
Danach wurde am 10. Januar 1990 beim Amtsgericht Z. Antrag auf Eröffnung des Konkursverfah...