Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers für Steuerschulden und steuerliche Nebenleistungen der GmbH. Ermittlung der anteiligen Tilgungsquote
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH nach § 69 AO erstreckt sich auf festgesetzte Verspätungszuschläge, sofern sie durch die haftungsbegründende Pflichtverletzung des Geschäftsführers bedingt sind, und auch auf die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
2. Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH ergibt sich allein aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer ohne Rücksicht darauf, ob er diese Stellung auch tatsächlich ausübt oder ausüben kann. In einer wirtschaftlichen Krise der GmbH darf ein alleiniger Geschäftsführer (Minderheitsgesellschafter) die Steuerangelegenheiten nicht dem gesellschaftsintern dafür zuständigen Mehrheitsgesellschafter, der weder geschäftsführungsbefugt ist noch Prokura hat, überlassen, auch wenn dieser eine kaufmännische Berufsausbildung hat.
3. Der Geschäftsführer kann sich seiner öffentlichrechtlichen anteiligen Tilgungsverpflichtung nicht dadurch entziehen, dass er namens der GmbH den Lieferanten, Banken und sonstigen Gläubigern der Gesellschaft umfassende privatrechtliche Sicherungsrechte wie Eigentumsvorbehalte, vielfache weitreichende Einzelvorausabtretungen und/oder Globalzessionen einräumt, so dass ihm infolge dieser den privaten Gläubigern ermöglichten Vorwegbefriedigung ihrer Ansprüche zur Begleichung der Steuerschulden keine ausreichenden Mittel mehr verbleiben.
4. Bei der Ermittlung der maßgebenden Haftungsquote des Geschäftsführers ist das FG nicht an die Feststellungen der Verwaltung gebunden.
5. Lässt sich die anteilige Tilgungsrate an Hand der Geschäftsunterlagen der GmbH nicht mehr ohne weiteres ermitteln, kann im Einzelfall durch einen Pauschalabschlag auf die überschlägig ermittelte Tilgungsquote von bis zu 10 v.H. Rechnung zu tragen sein. Die so gefundene Haftungsquote ist auch auf die steuerlichen Nebenleitstungen und die Säumniszuschläge anzuwenden.
Normenkette
AO 1977 § 69 Sätze 1-2, § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1, § 191 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger war Minderheitsgesellschafter und seit Mitte 1987 auch alleiniger Geschäftsführer der I GmbH (Bl. 27 f., 50 Dok; 35 Rs. StrafA I). Er stellte für die GmbH am 9. März 1994 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens, der durch Beschluss des Amtsgerichts N vom 21. April 1994 18 N 19/94 mangels Masse abgewiesen wurde (Bl. 4, 15 StrafA I).
Die GmbH gab ihre Umsatzsteuer(USt)-Voranmeldungen für Januar bis Mai und Juli bis Dezember 1993 mit erheblicher Verspätung – zum Teil erst Anfang 1994 – ab, weshalb das Finanzamt – FA – beträchtliche Verspätungszuschläge festsetzte (Bl. 1 USt 94). Die vorangemeldeten USt-Zahllasten wurden für die Monate Januar und Februar 1993 ebenfalls verspätet und für die übrigen Voranmeldungszeiträume überhaupt nicht getilgt, so dass das FA fernerhin erhebliche Säumniszuschläge (SZ) als verwirkt ansah (7 USt 94; 8 Bp Teil 2). Wegen all dem führte der Beklagte nach vergeblicher Anhörung des Klägers zur Ermittlung der anteiligen Tilgungs- und Haftungsquote bei der GmbH eine betriebsnahe Veranlagung – bnV – durch, wobei der Haftungszeitraum auf das Jahr 1993 beschränkt wurde (Bl. 7 ff. Bp Teil 2, Prüferhandakte passim). Die bnV ermittelte eine anteilige Tilgungsquote von 64 v.H., was – einschließlich der vorangemeldeten USt für Dezember 1993 – zu einer Haftungssumme für rückständige vorangemeldete USt 1993, Verspätungszuschläge und SZ in Höhe von insgesamt 86.681 DM führte (11 Bp Teil 2). Diesen Betrag forderte der Beklagte durch Haftungsbescheid vom 27. Mai 1994 vom Kläger wegen schuldhafter Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten ein (Bl. 4 ff. Bp Teil 2).
Anschließend setzte der Beklagte aufgrund einer Schätzungsveranlagung die USt der GmbH für 1993 durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 23. September 1994 auf 147.787 DM fest (Bl. 5 USt), wobei er sich an den USt-Voranmeldungen der Gesellschaft für 1993 orientierte (Bl. 16 FG).
Der Kläger legte gegen den Haftungsbescheid vom 27. Mai 1994 fristgerecht Einspruch ein (Bl. 2 Rb), der vom Beklagten durch Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1995 (Bl. 12 ff.) als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Mit seiner dagegen am 1. Juni 1995 beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage beantragt der Kläger,
den Haftungsbescheid vom 27. Mai 1994 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1995 ersatzlos aufzuheben.
Zur Begründung führt er aus: Ihn treffe auch nach der vom Beklagten in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – kein Haftungsverschulden, da die kaufmännischen Angelegenheiten der GmbH dem Mehrheitsgesellschafter F oblegen hätten (Bl. 34 FG; 35 Rs. StrafA I), so dass seine alleinige Inhaftungnahme überdies auch nicht ermessensgerecht sei (Bl. 33). Außerdem träfen die vom Beklagten angeführten BFH-Urteile seinen Fall nicht (Bl. 47 f.).
So übersehe der Beklagte, dass er über ...