Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von Schätzungsbescheiden ohne vorherige Außenprüfung. Körperschaft- und Umsatzsteuer 1996 und 1997
Leitsatz (redaktionell)
Eine Umsatz- und Gewinnschätzung ist im Fall der Nichtabgabe von Steuererklärungen auch ohne vorherige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Wege der Außenprüfung zulässig.
Normenkette
AO § 162
Tenor
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Nachdem die Klägerin für die Streitjahre 1996 und 1997 keine Steuererklärungen eingereicht hatte, erließ der Beklagte am 20. April bzw. 3. Mai 1999- jeweils aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen – Körperschaft- und Umsatzsteuerbescheide.
Mit Schreiben vom 15. Juni 1999, das beim Beklagten am 16. Juni 1999 einging, legte die Klägerin gegen die Körperschaftsteuerbescheide 1996 und 1997 sowie den Umsatzsteuerbescheid 1996 Einsprüche ein (Rbh, Bl. 1). Am 15. November 1999 reichte die Klägerin die Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen für 1996 und 1997 beim Beklagten ein (Rbh, Bl. 6 ff.).
Mit Entscheidung vom 11. März 2002 verwarf der Beklagte die Einsprüche der Klägerin als unzulässig (Rbh, Bl. 61).
Am 15. April 2002 (Montag) ging beim Finanzgericht das Schreiben der Klägerin vom 14. April 2002 ein (Bl. 1), mit dem diese Klage erhob.
Die Klägerin beantragt,
die Nichtigkeit der Bescheide vom 20. April bzw. 3. Mai 1999 festzustellen.
Die Steuerbescheide seien nichtig, weil der Beklagte die Umsätze und Gewinne völlig überzogen geschätzt habe. Die Zahlenangaben der Klägerin für die Vorjahre hätten niemals zu derart hohen Wertansätzen in den angegriffenen Bescheiden führen dürfen. Vorrangig einer Schätzung sei die Anordnung einer Außenprüfung gewesen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Er verweist auf die erklärten Besteuerungsgrundlagen der Vorjahre. Für 1995 sei ein Umsatz von 23.532 DM erklärt worden. Der Schätzung der Streitjahre lägen Umsätze von 50.000 DM zugrunde. Da die Klägerin im Jahr 1994 gegründet worden sei, habe eine Steigerung der Umsätze in den Streitjahren im Vergleich zum Jahr 1995 nahe gelegen. In einem Schreiben vom 21. März 1995 (Bl. 41) habe die Klägerin erklärt, Einnahmen erst ab Mitte 1995 zu erzielen. Dem entsprechend lasse sich der für 1995 erklärte Umsatz (auf rd. 47.000 DM) für ein ganzes Jahr verdoppeln. Ein geschätzter Umsatz von 50.000 DM für 1996 und 1997 beinhalte demnach also lediglich einen Sicherheitszuschlag von rd. 6 %. Die Nichtberücksichtigung von Vorsteuerbeträgen nach dem Abschluss der Gründungsphase (mit entsprechenden Anschaffungen) sei nicht zu beanstanden. Die Schätzung des Gewinns mit jeweils 15.000 DM sei moderat ausgefallen, nachdem die Klägerin in dem zu Beginn ihrer Tätigkeit ausgefüllten Fragebogen (KSt, Bl. 5) bereits eine Gewinnerwartung von 20.000 DM geäußert habe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Akten des Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Schätzungsbescheide des Finanzamts sind nicht nichtig.
1. Rechtsgrundlagen
Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln kann. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Erklärungspflichten nicht oder nicht fristgerecht nachkommt. Ein auf der Grundlage geschätzter Besteuerungsmerkmale ergehender Bescheid kann von dem Steuerpflichtigen grundsätzlich nur binnen Monatsfrist nach seiner Bekanntgabe angefochten werden. Anderenfalls erwächst er in Bestandskraft (§§ 355 Abs. 1 Satz 1, 358 Satz 2 AO).
Sind allerdings die streitbefangenen Steuerbescheide für 1996 und 1997 nichtig, so käme der Frage, ob diese Bescheide wegen Versäumung der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden sind, keine Bedeutung zu, weil Nichtigkeitsfehler fristungebunden geltend gemacht werden können.
Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt -und damit auch ein Steuerbescheid §§ 155 Abs. 1 Satz 2 AO)- nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381, m.w.N.).