Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Aktienverkäufen ab dem Veranlagungszeitraum 1999
Leitsatz (redaktionell)
Entgegen dem BMF-Schreiben vom 19.03.2004 (BStBl I 2004, 361) erscheint ernstlich zweifelhaft, ob die für die Vorjahre durch Urteil des BVerfG vom 09.03.2004 2 BvL 17/02 festgestellte Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Aktienverkäufen aufgrund eines strukturellen Vollzugsdefizits ab dem Veranlagungszeitraum 1999 – etwa durch gesetzliche Änderungen bzw. die Entwicklung des Kapitalmarkts - beseitigt worden ist.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 2, § 45d Abs. 1; AO § 30a; GG Art. 3 Abs. 1
Streitjahr(e)
1999
Nachgehend
Tatbestand
Im Rahmen einer bei der Antragstellerin für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2001 durchgeführten Außenprüfung stellte der Antragsgegner fest, dass die Antragstellerin im Mai 1999 aus dem Verkauf von Aktien einen Gewinn i.H.v. 4.918 DM erzielt hatte (vgl. Tz. 2.4 des Prüfungsberichts vom 02.01.2004); zwischen Ankauf und Verkauf der Aktien lag ein Zeitraum von vier Tagen.
In einem auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid vom 25.02.2004 erfasste der Antragsgegner diesen Gewinn als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat. Einen bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides lehnte er mit Schreiben vom 13.04.2004 ab.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz nunmehr im gerichtlichen Verfahren. Sie trägt unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 09.03.2004 2 BvL 17/02 (NJW 2004, S. 1022) vor, es sei anzunehmen, dass das vom BVerfG für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 festgestellte massive Vollzugsdefizit bei der Durchsetzung des Steueranspruchs aus § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b EStG a.F., das zur Nichtigkeit dieser Vorschrift geführt habe, auch im Jahre 1999 noch bestanden habe. Außerdem verweist sie auf den Beschluss des BFH vom 04.08.2003 IX B 45/03 (BFH/NV 2004, 37).
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 25.02.2004 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides. Das BVerfG habe die erwähnte Vorschrift in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Fassung zwar für nichtig erklärt, aber auch festgestellt, dass der Befund eines strukturellen Vollzugsdefizits sich nicht ohne weiteres auf die Folgejahre übertragen lasse, weil sich die Gesetzeslage ab dem Veranlagungszeitraum 1999 deutlich gewandelt habe. Der BFH-Beschluss vom 04.08.2003 sei nicht einschlägig.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist begründet.
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel i.S.d. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides vom 25.02.2004. Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts sprechen, gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B.: Beschluss vom 11.06.2003 IX B 16/03, BStBl II 2003, 663, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall besteht eine Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist oder ob diese Vorschrift - wie die Vorgängervorschrift in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG a.F. - wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG nichtig ist. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ergeben sich bereits aus dem Vorlagebeschluss des BFH vom 16.07.2002 IX R 62/99 (BStBl II 2003, 74), der letztlich zu dem Urteil des BVerfG vom 09.03.2004 geführt hat. In Abschn. B.III.4b und c dieses Beschlusses (a.a.O., S. 83) nimmt der BFH nämlich auch zur Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 1999 Stellung und führt aus, dass der gleichmäßige Belastungserfolg weder durch § 45d Abs. 1 EStG noch durch organisatorische Maßnahmen hergestellt werden könne; außerdem sei die der Gewährleistung von Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg gegenläufige Vorschrift des § 30a AO unangetastet geblieben. Diese Erwägungen haben in einem den Veranlagungszeitraum 2000 betreffenden Fall dazu geführt, dass der BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der auch hier einschlägigen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bejaht und Aussetzung der Vollziehung gewährt hat (vgl. Beschluss vom 04.08.2003, a.a.O.). Für den Veranlagungszeitraum 1999 kann nichts anderes gelten.
Eine gewisse Wahrscheinlichkeit, da...