Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten RA
Leitsatz (redaktionell)
- Auf die Vergütung eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts war jedenfalls nach der bis zur Einführung des § 15a RVG geltenden Rechtslage eine im Vorverfahren entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG anzurechnen.
- Unerheblich ist dabei, ob der Anwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat.
- Bei Beauftragung vor dem 5. August 2009 ist die Vergütung nach der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nach bisherigem Recht zu berechnen.
- § 15a RVG beinhaltet keine bloße Klarstellung der bisherigen Gesetzeslage (entgegen BGH-Beschluss vom 2. September 2009 II ZB 35/07, MDR 2009, 1311; Anschluss an BGH-Beschluss vom 29. September 2009 X ZB 1/09, NJW 2010, 76).
Normenkette
RVG § 2 Abs. 2, §§ 15a, 60 Abs. 1
Streitjahr(e)
2002, 2003, 2004
Tatbestand
Streitig ist, ob auf die nach dem RVG festzusetzende Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe – PKH – beigeordneten Erinnerungsführers –Ef. – die Geschäftsgebühr anzurechnen ist.
Der Ef. vertrat den Kläger zunächst im Einspruchsverfahren und auch als Prozessvertreter im Klageverfahren 11 K 1889/08 betreffend Bescheide über Einkommen- und Umsatzsteuer 2002 bis 2004, Gewerbesteuermessbetrag 2004 und Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags 2004. Für die Verfahren betreffend das Streitjahr 2004 wurde dem Kläger mit Beschluss vom 3. August 2010 Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und der Ef. beigeordnet.
Nach Abschluss der Verfahren beantragte der Ef. die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen. Mit Beschluss vom 20. September 2010 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse an den Antragsteller zu zahlende Vergütung gemäß §§ 45 RVG ff. auf 1.159,29 EUR fest. Dabei setzte sie eine Verfahrensgebühr in Höhe von 508,30 EUR an, rechnete hierauf jedoch die Geschäftsgebühr für das Tätigwerden im Vorverfahren in Höhe von 730,50 EUR an, so dass im Ergebnis als allgemeine Verfahrensgebühr 0 EUR verblieben. Zur Begründung führte sie aus, dass auf die Verfahrensgebühr die Geschäftsgebühr unabhängig davon anzurechnen sei, ob diese tatsächlich gezahlt worden sei. Allein das Entstehen der Geschäftsgebühr sei maßgebend. Die neue Regelung des § 15a RVG finde im vorliegenden (Alt-)Fall keine Anwendung.
Mit der hiergegen eingelegten Erinnerung macht der Ef. geltend, die Kürzung der Verfahrensgebühr sei fehlerhaft. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie nach einhelliger Auffassung der Literaturstimmen dürfe die (nicht erhaltene) Geschäftsgebühr nicht angerechnet werden.
Der Ef. beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Beschlusses vom 20. September 2010 die Vergütung ohne Anrechnung der Geschäftsgebühr festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist unbegründet.
Der angefochtene Beschluss ist rechtmäßig. Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung unter Anrechnung der Geschäftsgebühr festgesetzt.
Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG – wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.
Der Tatbestand dieser gesetzlichen Regelung ist hier erfüllt. Der Ef. war bereits vorgerichtlich für den Kläger tätig und hatte damit einen Anspruch auf die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG erwirkt. Nach dem – insoweit eindeutigen und nicht auslegungsfähigen – Wortlaut der Bestimmung hat die Anrechnung bereits mit der (bloßen) Entstehung der Gebühr zu erfolgen. Ob der Anwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat bzw. erhält, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht maßgebend (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2008, 1323; des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG NW – vom 10. Juni 2010 18 E 1722/09; des Hessischen Landesarbeitsgerichts – LAG – vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10).
Die Vorschrift gilt mangels einschränkender bzw. abweichender Bestimmung auch für Vergütungen, die – wie vorliegend – im Verfahren zur PKH aus der Staatskasse zu entrichten sind. Das Gesetz unterscheidet auch nicht danach, ob im nachfolgenden Verfahren PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist; die vorgeschriebene Anrechnung knüpft ausschließlich an die Entstehung der Geschäftsgebühr an. Dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist ungeachtet des Umstands Rechnung zu tragen, dass der im späteren gerichtlichen Verfahren im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt den gegen seinen Mandanten gerichteten Anspruch in der Regel nicht mit Erfolg wird geltend machen können, weil der Mandant ausweislich der Bewilligung von PKH nicht leistungsfähig ist. Im Übrigen kann der Anwalt diesem Risiko begegn...