Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Vorschriften über die Steuerfestsetzung und der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung auf die Festsetzung einer Steuervergütung nach § 155 Abs. 4 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten eines Kalenderjahres zu zahlende Kindergeld beginnt mit Ablauf dieses Kalenderjahres.
- Verjährungsfristen werden vom Anwendungsbereich des § 108 Abs. 3 AO erfasst.
- Für die Wahrung der Festsetzungsfrist kommt es – anders als bei der Versendung von Bescheiden der Finanzbehörde – nicht auf den Zeitpunkt der Aufgabe des Kindergeldantrags zur Post, sondern auf dessen Eingang bei der zuständigen Behörde an.
- Dies ist nicht bereits mit dem Einsortieren der Sendung in das Postschließfach der Behörde der Fall, sondern erst mit der Abholung der Sendung durch einen Amtsträger der Behörde.
- Ein nach dem Ende der Verjährungsfrist eingegangener Antrag kann keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO auslösen.
- Die Festsetzungsfristen des § 169 Abs. 2 AO sind nicht wiedereinsetzungsfähig.
Normenkette
AO §§ 47, 108 Abs. 3, § 110 Abs. 1, § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 155 Abs. 4, § 169 Abs. 1 Sätze 3, 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 3; EStG § 31 S. 3, § 66 Abs. 2, § 67 S. 1; BGB § 130 Abs. 1
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger für seine Tochter Susanne (geb. am 01.09.1981) Kindergeld im Zeitraum 01.01.2002 bis 31.12.2002 beanspruchen kann.
Die Tochter befand sich in diesem Zeitraum in einer Berufsausbildung. Mit Schreiben vom 29.12.2006, das als Anschrift die A-Str. 1, A-Stadt, aufweist, beantragte der Kläger beim Beklagten die rückwirkende Zahlung von Kindergeld für das Jahr 2002 unter Vorlage von Unterlagen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Tochter. Ferner trug er vor, dass er bislang kein Kindergeld beantragt habe, weil nach der Rechtslage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 11.01.2005 (2 BvR 167/02) davon auszugehen gewesen sei, dass kein Kindergeldanspruch bestehe. Das Schreiben des Klägers trägt einen Eingangsstempel des Beklagten mit dem Datum „03. Jan. 2007”.
Der Beklagte lehnte im Bescheid vom 01.03.2007 für den Streitzeitraum eine Kindergeldfestsetzung ab. Zur Begründung wies er darauf hin, dass bei Eingang des Antrages am 03.01.2007 der Kindergeldanspruch für das Jahr 2002 verjährt gewesen sei.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 03.04.2007 Einspruch ein. Im Schreiben vom 05.06.2007 führte der Kläger zur Begründung unter gleichzeitiger Beantragung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 der Abgabenordnung (AO) aus: Die Festsetzungsfrist sei gemäß § 108 AO i.V.m. §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht am 31.12.2006, sondern erst am 02.01.2007 abgelaufen.
Ihn treffe kein Verschulden an der Fristversäumung. Nach der Auskunft der Deutschen Post betrage die Beförderungsdauer einen Tag, so dass er davon ausgegangen sei, der Antrag sei am 30.12.2006 eingegangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG dürften Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Rechtsmittelführer nicht zu vertreten habe und auf die er auch keinen Einfluss ausüben könne, nicht als dessen Verschulden gewertet werden. Hinsichtlich der Postlaufzeiten bei Inlandsbeförderungen könne der Bürger darauf vertrauen, dass die von der Deutschen Post AG nach ihrem organisatorischen und betrieblichen Vorgängen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten auch eingehalten würden. Von den Beteiligten sei nur zu verantworten, dass das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entspreche. Der Bürger könne grundsätzlich Rechtsmittelfristen bis zum letzten Tag ausschöpfen ohne sich insoweit rechtfertigen zu müssen. Er sei im Rahmen der von der Deutschen Post AG bekannt gegebenen Regellaufzeiten auch nicht gehalten, zusätzliche Vorkehrungen zur Fristwahrung zu treffen. Gegen Ende der Rechtsmittelfrist obliege es ihm lediglich, bei Inanspruchnahme der Post eine Beförderungsart zu wählen, die – unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeiten – die Einhaltung der Frist gewährleiste. Sei die übliche Postlaufzeit überschritten, so komme es nicht mehr darauf an, auf welchen Gründen die Verzögerung beruhe. Außerdem sei auch bei Anwendung der Zustellfiktion nach § 122 AO der Antrag fristgerecht eingereicht worden.
Der Beklagte wies den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 25.06.2007 als unbegründet zurück und führte aus: Auf das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld fänden die Regelungen der AO Anwendung. Eine Steuerfestsetzung bzw. die Festsetzung einer Steuervergütung wie des Kindergeldes sei nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Die Festsetzungsfrist betrage für Kindergeld nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginne mit dem Ende des Kalenderjahres, für das die Steuervergütung zu gewähren sei (§ 170 Abs. 1 AO). Demnach habe die Festsetzungsfrist für das Kalenderjahr 2002 am 01.01.2003 begonnen und m...