vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe durch öffentliche Zustellung: Zulässigkeit der Zustellung im Ausland – Austausch des Anordnungsgrundes – Beurkundung der Benachrichtigung – Heilung durch Übersendung von Bescheidkopien im Klageverfahren – Bekanntgabewille

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der Aufenthaltsort des Bescheidempfängers ist nicht allein deshalb i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZG unbekannt, weil unter dessen ausländischer Anschrift eine Zustellung von Steuerbescheiden nicht zulässig ist.
  2. Die Begründung der Ermessensentscheidung über die Anordnung der öffentlichen Zustellung kann nicht im Nachhinein durch die Berufung auf einen anderen Anordnungsgrund ausgetauscht werden.
  3. Die Beurkundung der Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 5 VwZG ist unwirksam, wenn sie nicht mit dem vollen Namen des zuständigen Bediensteten des FA unterzeichnet ist.
  4. So lange der durch die fehlerhafte Zustellung dokumentierte Bekanntgabewille des FA nicht aufgegeben worden ist, werden Mängel der öffentlichen Zustellung gemäß § 8 VwZG durch die seitens des Gerichts verfügte Übersendung von Bescheidkopien an den Prozessbevollmächtigten des Bescheidadressaten in einem die Wirksamkeit der Bekanntgabe betreffenden Klageverfahren geheilt.
 

Normenkette

AO § 122 Abs. 2, 5, § 124 Abs. 1; VwZG §§ 8, 10 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 3, Abs. 2 S. 5; ZPO § 418 Abs. 1; FGO § 41 Abs. 2 S. 2, § 68 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 4

 

Streitjahr(e)

2007, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012, 2016

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide vom 14.06.2018 nebst Verspätungszuschlägen, jeweils für die Streitjahre 2007 bis 2012 und 2016, ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sind.

Der im Jahr 1949 geborene Kläger meldete sich im Jahr 2004 nach Italien ab. In den Streitjahren war er u.a. als Unternehmensberater für die Immobilien- und Bauwirtschaft tätig. Inländische Einkünfte hieraus erklärte er für die Streitjahre nicht.

Im Rahmen einer wegen Einkommensteuer 2013 und 2014 ergangenen - nicht streitgegenständlichen - Einspruchsentscheidung vom 20.02.2018 forderte der Beklagte den Kläger unter Hinweis auf § 123 der Abgabenordnung (AO) auf, bis zum 20.03.2018 einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen, da der Kläger Erschwernisse aufgebaut habe, um die wirksame Bekanntgabe von Verwaltungsakten an ihn zu verhindern oder zu erschweren. Sollte dies nicht erfolgen, werde die Bekanntgabe unter der E Anschrift seiner Lebensgefährtin F mit dem Hinweis c/o erfolgen; insoweit gölten die Rechtsfolgen nach § 123 Satz 2-3 AO. Eine wirksame Bekanntgabe liege selbst dann vor, wenn der Kläger vom Inhalt keine Kenntnis erlange. Es würden arglistig Erschwernisse aufgebaut, um die Bekanntgabe von Steuerbescheiden zu vereiteln.

Mit Schreiben vom 16.03.2018 teilte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten mit, dass der Kläger weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in E habe. Er sei postalisch unter der Schweizer Wohnanschrift Straße, 0000 M (CH) zu erreichen. Die Voraussetzungen zur Benennung eines inländischen Empfangsbevollmächtigten nach § 123 AO lägen nicht vor. Es werde um Zustellung sämtlicher Post an den Kläger an die genannte Schweizer Anschrift gebeten (Bl. 135 GA). Gleichzeitig wies der Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass er sich für den Kläger zum steuerlichen Berater im Inland bestelle, er aber keine Bekanntgabevollmacht zur Entgegennahme von Steuerbescheiden, sonstigen Verwaltungsakten, Vollstreckungsankündigungen und Mahnungen habe.

Wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen für die Streitjahre 2007 bis 2012 und 2016 nahm der Beklagte mit Bescheiden vom 14.06.2018 eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. Die Bescheide ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Am 04.06.2018 ordnete der Beklagte die öffentliche Zustellung der vorgenannten Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide für 2007 bis 2012 und 2016 an. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung, die nachstehend wiedergegeben ist, wurde am 21.06.2018 im Finanzamt ausgehangen und am 12.07.2018 wieder abgenommen. Die begleitende Verfügung enthält den Zusatz, dass der derzeitige Aufenthaltsort des Klägers unbekannt sei und Zustellungsversuche durch die Post und Ermittlungen über den Aufenthaltsort ergebnislos geblieben seien. Die Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten sei nicht möglich:

„Bilddarstellung wurde entfernt“

Mit Schreiben vom 14.06.2018, adressiert an die frühere Anschrift des Klägers in E (c/o F), teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass u.a. die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2012 und 2016 sowie die Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2012 und 2016 am 14.06.2018 öffentlich zugestellt worden seien und in Zimmer 234 abgeholt werden könnten. Dem Schreiben waren keine Kopien der Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide beigefügt. Das Anschreiben gelangte in den Postrücklauf des Beklagten mit dem Hinweis, dass der Empfänger unt...

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