Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuschätzung wegen Buchführungsmängel: Aufbewahrungspflichtige Unterlagen – Schätzung mittels Unsicherheitszuschlag
Leitsatz (redaktionell)
- Die Anleitungen zur Kassenbedienung und -programmierung sowie die Programmierungsprotokolle von elektronischen Registrierkassen sind als sonstige Organisationsunterlagen gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtig; das Fehlen dieser Unterlagen stellt einen formellen Mangel der Buchführung dar (vgl. BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl 2015 II S. 743).
- Kann die wegen der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchführung eines Kioskbetriebes gebotene Hinzuschätzung mangels aussagekräftiger Unterlagen wie Preislisten und detaillierter Warenumsatzberichte nicht im Wege eines inneren Betriebsvergleichs in Form einer Nachkalkulation erfolgen, ist die Wahl der Methode der Schätzung mittels Unsicherheitszuschlags (5 %) zu den erklärten Umsätzen - mit Ausnahme der durch Datenaustausch dokumentierten Provisionserlöse für den Verkauf von Lottoscheinen etc. und durchlaufenden Posten - nicht zu beanstanden.
Normenkette
AO § 145 Abs. 1, § 146 Abs. 1 Sätze 1-2, § 147 Abs. 1 Nrn. 1, 4, §§ 158, 162 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; UStG § 22 Abs. 1 S. 1
Streitjahr(e)
2012, 2013, 2014
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung des Klägers Erlöse bzw. Umsätze hinzu schätzen durfte.
Der Kläger betrieb in Jahren 2012 bis 2014 (Streitjahre) eine Lotto-Toto-Annahmestelle mit angeschlossenem Kiosk (Tabakwaren, Zeitschriften, etc.)…unter der Anschrift M.-straße in X.. Er erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und ermittelte seinen Gewinn in allen Streitjahren durch Betriebsvermögensvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG.
Der Kläger verfügte in den Streitjahren über eine elektronische Registrierkasse des Models U. Er fertigte hierzu handschriftliche Kassenberichte, in denen er, ausgehend vom Kassenbestand des Vortages, zunächst regelmäßig eine Kontoeinzahlung in gleicher Höhe abzog. Anschließend notierte er die Geschäftseinnahmen meist mit jeweils einer Summe für bestimmte Warengruppen (z.B. Tabak, Zeitschriften, Süßwaren,…etc.) teilweise jedoch auch nur mit einer Gesamtsumme, zog hiervon Ausgaben (wie z.B. „Q., G., F., C., W., I., P. etc.“) ab und notierte den Kassenbestand zum Geschäftsschluss. Wechselgeldbestände wurden in den Kassenberichten nicht erfasst.
Der Kläger verfügte außerdem über eine eigene Lottokasse, die mit der Fa. V. direkt verbunden war. Über diese Kasse erfolgten der Verkauf von Lottoscheinen, Telefonkarten etc. sowie die Auszahlung von Lottogewinnen. Für diese Kasse fertigte er keinerlei Aufzeichnungen, insbesondere keine täglichen Kassenberichte. Die Buchungen auf dem Kassenkonto (Buchungskonten 1001 bzw. 1601) erfolgten anhand der Abrechnungen der Fa. V. und der entsprechenden Geldeingänge und Geldabgänge auf dem gesondert geführten Bankkonto für die Lottoannahmestelle ( Bank X., Kontonummer N01, Buchungskonto 1201 bzw. 1801). Die Entnahme der Provisionen erfolgte ebenfalls über die Lottokasse.
Der Kläger verkaufte seit Oktober 2012 auch Nahverkehrstickets für die X. B. (X.B.). Er war über eine Leitung direkt mit dem Anbieter verbunden und rechnete auch direkt mit diesem ab. Hierzu druckte er einen Abschlag aus. Ein extra Kassenfach gab es nicht, die Vereinnahmung der bar gezahlten Tickets lief über die Kasse Kiosk (Position 07 auf den Tagesendsummenbons, den sog. Z-Bons).
Der Beklagte setze die Einkommensteuer zunächst für 2012 auf 3.624 € (Bescheid vom 22.07.2014), für 2013 auf 2.952 € (Bescheid vom 09.04.2015) und für 2014 auf 4.329 € (Bescheid vom 29.07.2015) fest, wobei er jeweils erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 52.167 € (2012), 50.367 € (2013) und 53.088 € (2014) berücksichtigte. Ebenso erließ er entsprechende Gewerbesteuermessbetragsbescheide und stimmte den eingereichten Umsatzsteuererklärungen zu, mit denen der Kläger Umsatzsteuer für 2012 i.H.v. 13.336,93 €, für 2013 i.H.v. 12.410,19 € und für 2014 i.H.v. 12.912,85 € berechnete.
Mit Prüfungsanordnung vom 21.06.2017 ordnete der Beklagte beim Kläger für die Streitjahre eine Betriebsprüfung (BP) für die Einkommen- und Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag an. Im Verlauf der Prüfung gelangte der Prüfer zu der Feststellung, dass die Buchführung des Klägers nicht ordnungsmäßig sei. So lägen für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.09.2013 nur verdichtete Summenbuchungen und keine Einzelbuchungen vor. Weiterhin seien weder Kassendaten noch Verfahrensdokumentationen für die Kasse des Klägers vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Vollständigkeit der Geschäftsvorfälle sowie deren Entstehung und Abwicklung könne daher nicht erfolgen. Aufgrund der vorgenannten Mängel setzte der Prüfer gemäß Tz. 2.2 des BP-Berichts vom 06.04.2018 einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.09.2013 auf die erklärten Erlöse an. Weiterhin kürzte er die Vorsteuer aus Mietaufwendung...