Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Kind
Leitsatz (redaktionell)
- Ob für ein behindertes Kind ein Anspruch auf Kindergeld besteht, weil es nicht imstande ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf bestreiten, ist für jeden Monat gesondert zu prüfen.
- Nachzahlungen von ALG II werden einem volljährigen behinderten Kind im Monat des tatsächlichen Zuflusses zugerechnet.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2
Streitjahr(e)
2009
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Kindergeld für den Sohn B, geb. 1974. Der Sohn ist laut ärztlicher Bescheinigungen geistig behindert; er lebt in einer eigenen Wohnung und bezieht seit Juli 2005 Arbeitslosengeld II (ALG II). Die Behinderung besteht nach ärztlicher Bescheinigung vom 6. 6. 2003 mindestens seit 1990; er lebte seit 2002 in einer stützenden Einrichtung. Dementsprechend setzte die Familienkasse ab 2002 Kindergeld fest. Im Februar 2008 teilte die Klägerin mit, der Sohn lebe in einem eigenen Haushalt. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung, wonach der Sohn sich seit Jahren in nervenärztlicher Behandlung befinde und im Rahmen einer Schizophrenia-Simplex nicht in der Lage sei, allein für seinen Unterhalt zu sorgen. Ausweislich ärztlicher Gutachten und einer Mitteilung der Reha-Stelle der Agentur für Arbeit ist er nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit von 3 Stunden täglich auszuüben.
Am 6. 8. 2009 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für B ab März 2008 auf und begründete dies mit der Höhe der eigenen Einkünfte des Kindes. Diese beliefen sich im streitigen Zeitraum auf
ALG II:
Gegen den Aufhebungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte am 31. 5. 2010 zurückwies. Von den Bezügen sei eine Kostenpauschale von 180 EUR (mtl. 15 EUR) abzuziehen, von den Einkünften der Werbungskosten-Pauschbetrag von 920 EUR, so dass diese mit 0 EUR anzusetzen seien. Die Bezüge lägen über dem Grenzbetrag.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Im Klageverfahren hat die Beklagte einen Änderungsbescheid erlassen, in dem Kindergeld für den Sohn B für die Zeit von März bis Dezember 2008 iHv. 154 EUR mtl. festgesetzt wurde. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Die Klägerin trägt vor:
Die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 EStG gelte für behinderte Kinder nur sinngemäß; deshalb habe die Vergleichsberechnung monatsbezogen zu erfolgen. Einmalige Nachzahlungen seien daher nicht oder nur in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie anfielen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des
Bescheides vom 6. 8. 2009 Kindergeld für das Jahr 2009 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung.
Der Beklagte trägt vor:
Die im Januar 2009 zugeflossene Nachzahlung sei auf die nachfolgenden Monate aufzuteilen mit der Folge, dass in 2009 der Grenzbetrag überschritten sei.
Entscheidungsgründe
Für das Jahr 2008 ist der Rechtsstreit aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten erledigt, nachdem der Beklagte insoweit einen Abhilfebescheid erlassen hat.
Die Klage betreffend Kindergeld für das Jahr 2009 ist teilweise begründet und im übrigen unbegründet.
Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und 2 iVm § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Dies ist dann der Fall, wenn es seinen gesamten notwendigen Lebensunterhalt nicht mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln bestreiten kann (BFH vom 19. 11. 2008 III R 105/07 BStBl II 2010,1057).
Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf bestreiten kann. Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Hinsichtlich des Grundbedarfs gilt der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Maßstab. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, so kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen (BFH-Urteil vom 31. 8. 2006 III R 71/05 BStBl II 2010,1054; vom 22. 10. 2009 III R 50/07 BStBl II 2011,38).
Zu den zur Verfügung stehenden Mitteln des Kindes zählen neben den Arbeitseinkünften auch Zahlungen von Sozialleistungsträgern als Bezüge (BFH v...