Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslohn: Übernahme von Verwarnungsgeldern wegen Falschparkens durch Paketzustelldienst – Verzicht auf Rückgriffs- oder Schadensersatzanspruch – Anspruchsausschluss nach Treu und Glauben
Leitsatz (redaktionell)
- Die durch einen Paketzustelldienst als Arbeitgeber bewirkte Zahlung der gegenüber ihm als Halter der Fahrzeuge festgesetzten Verwarnungsgelder wegen Falschparkens seiner Arbeitnehmer bei der Zustellung der Pakete führt bei diesen nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn, wenn diese Handhabung auf einer bislang unveränderten langjährigen betrieblichen Praxis beruht (Urteil im 2. Rechtszug; vorgehend: BFH-Urteil vom 13.08.2020 VI R 1/17, BFHE 270, 317, BStBl II 2021, 103).
- Den Arbeitnehmern fließt in diesem Fall kein geldwerter Vorteil in der Form eines Verzichts auf eine realisierbare Forderung in Form eines Rückgriffs- oder Schadensersatzanspruchs zu, da ein solcher Anspruch aufgrund des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung in Gestalt widersprüchlichen Verhaltens nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen ist.
- Unabhängig davon fehlt es am Zufluss eines auf dem Erlass einer realisierbaren Forderung beruhenden geldwerten Vorteils, solange die betroffenen Arbeitnehmer nicht – in Kenntnis des den etwaigen Regressansprüchen zugrunde liegenden Sachverhalts - zumindest ihr konkludentes Einverständnis mit einem entsprechenden Forderungsverzicht erklärt haben.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 249 Abs. 1, § 254 Abs. 1, §§ 276, 280 Abs. 1, § 397 Abs. 1, §§ 611a, 670, 683 S. 1
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Streitig ist, ob die von der Klägerin im Monat April 2014 vorgenommenen Zahlungen von Verwarngeldern wegen des Verstoßes gegen Halteverbote durch die bei ihr angestellten Paketzusteller zu lohnsteuerpflichtigem Arbeitslohn führen.
Die Klägerin ist ein Tochterunternehmen der im Logistikbereich tätigen A -Gruppe. Sie betreibt im gesamten Bundesgebiet einen Paketzustelldienst.
Die von der Klägerin als Arbeitnehmer beschäftigten Fahrer haben die Aufgabe, Pakete unmittelbar bei den Kunden der Klägerin abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Um eine möglichst schnelle Zustellung („24-Stunden-Service”) zu gewährleisten, halten die Fahrer mit ihren Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe zu den Kunden. Insbesondere in Innenstädten ist dies jedoch mit den zur Verfügung stehenden Parkmöglichkeiten in straßenverkehrsrechtlich zulässiger Weise nur teilweise möglich. In mehreren Städten hat die Klägerin daher bei den zuständigen Behörden Ausnahmegenehmigungen nach § 46 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) beantragt, die ein kurzfristiges Halten zum Be- und Entladen in ansonsten nicht freigegebenen Bereichen wie Halteverbots- oder Fußgängerzonen unter bestimmten Auflagen zum Gegenstand haben. Die Genehmigungen sind kostenpflichtig, gelten nur für ein bestimmtes Fahrzeug und werden für ein Jahr erteilt.
Sofern eine Ausnahmegenehmigung nicht erhältlich ist, nimmt es die Klägerin zur Gewährleistung eines reibungslosen Betriebsablaufs sowie im Interesse der Kunden im Einzelfall hin, dass die Fahrer ihre Fahrzeuge auch in Haltverbotsbereichen oder Fußgängerzonen kurzfristig anhalten und hierfür gemäß § 56 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) dann gegebenenfalls Verwarngelder erhoben werden. Die Verwarngelder werden teilweise direkt gegenüber der Klägerin als Halterin festgesetzt. In anderen Fällen wird der Klägerin als Halterin ein Zeugenfragebogen übersandt, mit der Aufforderung zur Vermeidung weiterer Ermittlungen die Personalien des Fahrers mitzuteilen oder das Verwarngeld innerhalb einer Woche zu entrichten. In beiden Varianten leistet die Klägerin die Verwarngelder ohne weitere Prüfung und Identifizierung der jeweiligen Fahrer innerhalb der gesetzten Wochenfrist. Verwarnungs- oder Bußgelder wegen anderer Verstöße ihrer Fahrer gegen die StVO trägt die Klägerin nicht.
In regelmäßigen Schulungen werden die Fahrer der Zustellfahrzeuge darüber hinaus von der Klägerin angehalten, bei Durchführung ihrer Tätigkeiten die Regeln der StVO einzuhalten.
Auf der Grundlage des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 07.07.2004 - IV R 29/00 (BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367) zog die Klägerin in der Vergangenheit aus der Zahlung der Verwarnungsgelder keine lohnsteuerrechtlichen Konsequenzen.
Nach dem Ergehen des BFH-Urteils vom 14.11.2013 - VI R 36/12 (BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278) gelangte der Beklagte zu der Auffassung, die Zahlung der auf den Parkverstößen der Fahrer beruhenden Verwarnungsgelder führe bei diesen zu lohnsteuerpflichtigem Arbeitslohn. Die Klägerin meldete daraufhin - entgegen ihrer eigenen Rechtsauffassung - in der Lohnsteuer-Anmeldung April 2014 für diesen Sachverhalt Lohnsteuer in Höhe von 1.925,96 € sowie darauf entfallende Annex-Steuern (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) in Höhe von 240,72 € an. Die Lohnsteuer wurde gemäß § 40 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Antrag der Klägerin...