Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung von Aussetzungszinsen nach dem geschuldeten und tatsächlich von der Vollziehung ausgesetzten Betrag

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat das Finanzamt den Steueranspruch aus einem Folgebescheid durch bestandskräftigen Bescheid betragsmäßig zu hoch von der Vollziehung ausgesetzt, weil die steuerlichen Auswirkungen eines streitigen Grundlagenbescheides (Gewinnfeststellung) fehlerhaft berechnet wurden, fehlt es für die Festsetzung von Aussetzungszinsen jedenfalls dann an einer rechtlichen Grundlage, wenn die Klage gegen den Grundlagenbescheid in vollem Umfang Erfolg hatte.

 

Normenkette

AO § 237 Abs. 1 S. 1

 

Streitjahr(e)

1994, 1996

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 31.08.2011; Aktenzeichen X R 49/09)

 

Tatbestand

Das beklagte Finanzamt setzte gegen die Klägerin für Einkommensteuer 1994 und 1996 nebst Solidaritätszuschlag 1996 Aussetzungszinsen in Höhe von zuletzt 375.774 EUR fest. Anlass war ein Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln betreffend negative Gewinnfeststellungsbescheide der „A” Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als Grundlagenbescheide für ihre Einkommensteuerfestsetzungen. Für die Zeit der Rechtshängigkeit dieses Verfahrens wurden die Einkommensteuern von der Vollziehung ausgesetzt – indessen weitgehender, als durch den Streitgegenstand vor dem FG Köln veranlasst gewesen wäre.

Die Klage vor dem FG Köln hatte in vollem Umfang Erfolg.

Den Einspruch gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen wies das beklagte Finanzamt zurück. Wenn das Finanzamt – so die Ausführungen in den Gründen der Einspruchsentscheidung – den Folgebescheid betragsmäßig zu hoch ausgesetzt habe, hätte die Klägerin entweder den Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids anfechten und Aussetzung der Vollziehung in der zutreffenden Höhe beantragen oder zumindest den zuviel ausgesetzten Betrag zahlen müssen. Da dies nicht geschehen sei, müsse sich die Klägerin die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts, mit dem die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids ausgesprochen worden sei, gegen sich gelten lassen – und zwar auch insoweit, als dieser Bescheid zugunsten der Klägerin rechtlich fehlerhaft gewesen sei. Es sei daher unerheblich, ob das Finanzamt den Aussetzungsbetrag zutreffend ermittelt habe; maßgeblich sei allein der Umfang der tatsächlich erfolgten Aussetzung der Vollziehung. Die Fehlerhaftigkeit der bestandskräftigen Aussetzungsentscheidung berühre den Zinsanspruch grundsätzlich nicht. Wer den Vorteil der Aussetzung der Vollziehung in Anspruch nehme, müsse auch bei Erfolglosigkeit seines Rechtsbehelfs den Nachteil der Zinsfestsetzung ertragen.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die streitige Festsetzung von Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer der Klägerin für 1994 und 1996 nebst Solidaritätszuschlag 1996 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Für die Festsetzung dieser Zinsen fehlt es an einer rechtlichen Grundlage – § 237 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) greift hier nicht. Es ist schon zweifelhaft, ob man dem Bundesfinanzhof (BFH) darin folgen kann, dass – wenn das Finanzamt die Vollziehung des angefochtenen Bescheids in vollem Umfang ausgesetzt hat, obwohl nur ein Teil der sich aus dem Bescheid ergebenden Steuerforderung streitig war – sich die Aussetzungszinsen nach dem geschuldeten und tatsächlich von der Vollziehung ausgesetzten Betrag berechnen sollen (BFH-Urteil vom 9.12.1998 XI R 24/98, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1999, 201). Schon eine entsprechende am Wortlaut orientierte Auslegung erscheint nicht ohne weiteres zwingend – dies gilt ebenso, als darauf abgestellt wird, eine solche Auslegung entspräche dem Zweck des § 237 Abs. 1 AO; durch Aussetzungszinsen solle ausgeglichen werden, dass der Steuerpflichtige einen ihm nach dem materiellen Recht nicht zustehenden Zinsvorteil erlangt habe (BFH-Urteil vom 9.12.1998 XI R 24/98, a.a.O.). Ein solcher weitgehender Zweck dürfte § 237 Abs. 1 AO kaum zukommen – jedenfalls dann nicht, wenn ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig in vollem Umfang Erfolg hatte. In diesem Fall bietet die Norm nicht einmal ansatzweise eine Grundlage für die Festsetzung von Aussetzungszinsen – selbst wenn das Finanzamt die Vollziehung des angefochtenen Bescheids in vollem Umfang ausgesetzt hat, obwohl nur ein Teil der sich aus dem Bescheid ergebenden Steuerforderung streitig war. Dass mit Aussetzungszinsen der Zinsvorteil ausgeglichen werden soll, der dem Steuerpflichtigen nach dem materiellen Recht nicht zusteht, gilt hier also gerade nicht. Deshalb dürfte es mit der Systematik des § 237 Abs. 1 AO nur wenig in Einklang zu bringen sein, für den Fall, dass ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage voll oder teilweise keinen Erfolg hatte, etwas anderes anzunehmen. § 237 Abs. 1 AO bietet eben keine Grundlage für die Festsetzung von Zinsen...

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