Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellung für dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeiten – Abgrenzung zu rechtlich bestehenden Verbindlichkeiten
Leitsatz (redaktionell)
- Der für die Passivierung rechtlich noch nicht bestehender Verbindlichkeiten erforderliche wirtschaftliche Bezug zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag ist bei behördlichen Auflagen zur technischen Umrüstung vor Ablauf der Umsetzungsfristen nicht gegeben, da die künftigen Ausgaben wirtschaftlich eng mit den künftigen Gewinnchancen verbunden sind und nicht mit bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr realisierten Erträgen in Zusammenhang stehen.
- Die in einem Wirtschaftsjahr mit Ablauf der Umsetzungsfristen durch Vorgänge des Geschäftsbetriebs rechtlich entstandenen und lediglich der Höhe nach ungewissen Außenverpflichtungen müssen dagegen zurückgestellt werden, ohne dass es darauf ankommt, dass bereits durch die Ausgaben alimentierte Erträge angefallen sind.
- Der Rückstellungsbildung steht kein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse entgegen, wenn die Umrüstungen nicht der Betriebsbereitschaft des abgelaufenen Geschäftsjahrs dienen.
- Künftige Vorteile im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG, die geeignet sind, die Aufwendungen teilweise zu kompensieren, liegen nicht vor, wenn mit der Vornahme der Umrüstungen selbst voraussichtlich keine weiteren Betriebseinnahmen verbunden sein werden, sondern die ausgewechselten Gegenstände ohne Erzielung von Entgelten entsorgt werden müssen.
- Eine pauschale Gegenrechnung zukünftiger Einnahmen ohne sachlichen Zusammenhang zwischen Verpflichtungserfüllung und Vorteilseintritt kommt nicht in Betracht.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c; HGB § 246 Abs. 1, § 249 Abs. 1 S. 1 1. Alternative, § 252 Abs. 1 Nrn. 4-5
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Rückstellungen.
Die Klägerin bildete wegen anstehender und zum jeweiligen Bilanzstichtag noch nicht durchgeführter Maßnahmen regelmäßig Rückstellungen. Zum hier zu beurteilenden Bilanzstichtag 31.12.2002 wurde eine (zusammengefasste) Rückstellung i.H.v. insgesamt 2.951.814,12 EUR gebildet. Hinsichtlich der Zusammensetzung der einzelnen rückstellungsbegründenden Posten wird auf Seite 3 bis 7 der Klageschrift vom 29. Oktober 2008 verwiesen. Für Maßnahmen in Höhe von 611.133,50 EUR endete die Umsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2002 oder früher. Für Maßnahmen in Höhe von 2.340.680,62 EUR endete die Umsetzungsfrist nach Ablauf des Streitjahrs.
Für die Jahre 1999 bis 2002 fand bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung statt. Die Rückstellungen für die behördlich vorgeschriebenen Maßnahmen würdigte der Betriebsprüfer erstmals als steuerlich nicht zulässige Aufwandsrückstellung. Entsprechend erhöhte er den Gewinn des Jahres 2002.
Gegen den nachfolgend geänderten Feststellungsbescheid legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. In seiner Einspruchsentscheidung vertrat das beklagte Finanzamt die Ansicht, dass eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung im Sinne der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen noch nicht rechtlich entstanden sei, wenn die Rechtsnorm eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung enthalte, die am maßgeblichen Bilanzstichtag noch nicht abgelaufen sei. Ferner war das Finanzamt der Meinung, dass eigenbetrieblicher Aufwand vorliege, der nicht rückstellungsfähig sei. Zudem stellten die Maßnahmen nachträgliche Herstellungskosten dar. Für Aufwendungen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren seien, dürften Rückstellungen nicht gebildet werden. Schließlich vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die laufenden Einnahmen als künftige Vorteile nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c) des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei der Bewertung der Rückstellungen wertmindernd zu berücksichtigen seien.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage ist die Klägerin der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Bildung der entsprechenden Rückstellungen vorliegen. Für eine am Bilanzstichtag rechtlich entstandene Verpflichtung bestehe eine Passivierungspflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könnten für Verpflichtungen, die sich aus öffentlichem Recht ergeben, Rückstellungen gebildet werden, wenn diese inhaltlich und zeitlich hinreichend konkretisiert seien. Darüber hinaus werde verlangt, dass an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft seien, so dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen könne. Weiterer Voraussetzungen für die Passivierung bedürfe es nicht. Insbesondere sei weder dem Gesetz noch den sonstigen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ein weiteres Passivierungserfordernis in Form einer wirtschaftlichen Verursachung der Verpflichtung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag zu entnehmen. Auf den Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung komme es bei rechtlich entstandenen Verpflichtungen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht an. Für V...