Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis des Zugangs von Steuerbescheiden
Leitsatz (redaktionell)
- Bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen nach der schlüssig und nachvollziehbar belegten Absendung des Steuerbescheids können vom Finanzgericht im Wege einer freien Beweiswürdigung dahingehend gewürdigt werden, dass - entgegen der Behauptung des Steuerpflichtigen - von einem Zugang des Steuerbescheids ausgegangen wird.
- Indizien für den Zugang von Steuerbescheiden können insbesondere dann vorliegen, wenn einem Steuerpflichtigen mehrfach seine Steuerschulden bekannt gegeben worden sind, ohne dass er diese oder den Zugang der entsprechenden Bescheide bestreitet, oder der Steuerbescheid mit anderen Schriftstücken zusammen versandt worden ist, deren Zugang der Steuerpflichtige nicht bestreitet.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1
Streitjahr(e)
2008, 2009
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 11.03.2014; Aktenzeichen V B 66/13) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die wirksame Bekanntgabe von Steuerbescheiden.
Die unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger sind Eheleute und wurden beim Beklagten in den beiden Streitjahren 2008 und 2009 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch gewerbliche Einkünfte erzielende Kläger war im Streitzeitraum Unternehmer im Sinne von § 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) und erzielte umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Umsätze. Bereits in den Vorjahren hatten die Kläger ihre Steuererklärungen regelmäßig verspätet abgegeben. Bis 2007 ergingen daher regelmäßig Steuerbescheide, in denen die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden waren. Die Schätzungsbescheide standen dabei durchgängig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung – AO –) und wurden von den Klägern nicht angefochten. Erst nachdem der Vorbehalt der Nachprüfung für das jeweilige Jahr aufgehoben wurde, legten die Kläger gegen die Aufhebung Einspruch ein und reichten im Rahmen des Einspruchsverfahrens die entsprechenden Steuererklärungen ein.
Nachdem die Kläger für die Streitjahre trotz Aufforderung durch den Beklagten weder die Einkommensteuer- noch die Umsatzsteuerjahreserklärungen abgaben, schätzte der Beklagte mit Steuerbescheiden vom 02.11.2011 die Besteuerungsgrundlagen für 2008 und 2009. Die Umsatzsteuer 2008 und 2009 wurde auf jeweils 380,00 € festgesetzt. Die Einkommensteuer 2008 wurde auf 16.770,00 € und die Einkommensteuer 2009 auf 12.536,00 € festgesetzt. Die Bescheide standen anders als in den Vorjahren nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Insgesamt folgten aus den Schätzungsbescheiden einschließlich Zuschlagsteuern und steuerlichen Nebenleistungen Nachzahlungen in Höhe von insgesamt 10.335,53 €. Zeitgleich mit den streitigen Bescheiden ergingen zwei Bescheide, mit denen der Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer 2007 und zur Umsatzsteuer 2007 aufgehoben wurde. Die Bekanntgabe sämtlicher Bescheide vom 02.11.2011 erfolgte durch einfachen Brief. Gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung Einkommensteuer 2007 und Umsatzsteuer 2007 legten die Kläger am 05.12.2011 Einspruch ein. Am gleichen Tag reichten die Kläger die Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 sowie am 13.01.2012 die Einkommensteuererklärung 2007 ein.
Am 26.01.2012 versandte der Beklagte wegen der aus den Schätzungsbescheiden folgenden Steuernachforderungen zwei Mahnungen an die Kläger, die diesen auch zugingen. Eine Reaktion der Kläger auf diese Mahnungen erfolgte nicht. Am 15.02.2012 erließ der Beklagte wegen der offenen Steuerforderungen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die mit Schreiben vom 27.02.2012 mitsamt einer Aufstellung der Rückstände an die Kläger zur Kenntnisnahme übermittelt wurde.
Der Kläger suchte daraufhin am 01.03.2012 den für ihn zuständigen Veranlagungsbezirk beim Beklagten auf und führte ein Gespräch mit der für ihn zuständigen Koordinatorin. Dieses Gespräch wurde von einer weiteren im Zimmer anwesenden Sachbearbeiterin mitgehört. Unmittelbar im Anschluss an dieses Gespräch fertigten die beiden Zeuginnen einen Vermerk mit dem nachfolgenden Wortlaut:
„(…)
Der Kläger fragte, ob Verpflegungsmehraufwendungen in 2007 oder 2008 zu berücksichtigen seien.
Auf Nachfrage gab er an, dass er die Schätzungsbescheide (Einkommensteuer und Umsatzsteuer) 2008 und 2009 ende 2011 erhalten hat und momentan dabei wäre die Steuererklärungen zu erstellen, damit auch die Schätzungen „aus der Welt” sind. Das Schreiben über die Pfändung hatte er dabei, um bei der Erhebungsstelle einen Zahlungsaufschub bis zur Abgabe der Erklärungen zu erhalten.
Ihm wurde daraufhin mitgeteilt, dass die Schätzungen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind und aus diesem Grund auch nicht mehr änderbar sind.
Er teilte mit, dass er dann Privatinsolvenz anmelden müsste.
(…)”
Mit Schreiben vom 02.03.2012 teilten die Kläger mit, dass ihnen Steuerfestsetzungen für 2008 und 2009 nicht zugegangen seien. Erst anlässlich der Pfändungs- und Einziehungsverfügung hätten sie mit Schreiben...