Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageerhebung per Fax durch Berufsträger
Leitsatz (redaktionell)
- Auch ein Berufsträger kann ohne Nutzung einer elektronischen Übermittlung via formgerecht Klage per Fax erheben, wenn er bei Gericht nicht als professioneller Einreicher in Erscheinung tritt, sondern von seinem Selbstvertretungsrecht Gebrauch macht.
- Durch einen Antrag auf Nullfestsetzung und Aufhebung von Schätzungsbescheiden wird der Gegenstand des Klagebegehrens nicht hinreichend bezeichnet, wenn nach dem erkennbaren tatsächlichen Ziel der Klage eine Herabsetzung der Steuer nach Maßgabe von noch abzugebenden Steuererklärungen begehrt wird.
- Bei der Schätzung der Einkommen- und Umsatzsteuer ist der Ansatz eines über den geschätzten Umsätzen liegenden Gewinns kein grober Fehler, der zur Nichtigkeit führt
Normenkette
FGO § 52d Abs. 1 S. 1, § 52a Abs. 4 Nr. 2, § 56 Abs. 1-2, § 62 Abs. 1, § 65 Abs. 2 Sätze 2-3, § 79b Abs. 1
Streitjahr(e)
2019
Tatbestand
Die Klägerin ist als Rechtsanwältin selbstständig tätig. Mangels Abgabe von Steuererklärungen schätzte der Beklagte mit Bescheid vom 5.10.2021 die Besteuerungsgrundlagen zur Umsatzsteuer 2019 und mit Bescheid vom 7.10.2021 die Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer 2019. Dabei legte er einen Gewinn aus selbständiger Arbeit i.H.v. 30.800 € sowie Lieferungen und sonstige Leistungen zu 19 % i.H.v. 23.700 € zugrunde.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Einspruch ein, eine Begründung werde sie nachreichen.
Der Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 10.11.2021 unter Fristsetzung gemäß § 364b der Abgabenordnung (AO) bis zum 27.12.2021 dazu auf, ihre Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung sowie eine Gewinnermittlung für das Jahr 2019 einzureichen.
Mit Fax vom 27.12.2021, eingegangen beim Beklagten um 23.52 Uhr, reichte die Klägerin Vordrucke zur Einkommensteuer 2010 ein, die sie handschriftlich auf das Jahr 2019 geändert hatte. Bei dem gefaxten Vordruck handelt es sich um den unterschriebenen Mantelbogen, Angaben zu Einkünften sind nicht enthalten. Ebenfalls mit Fax vom 27.12.2021, vollständig eingegangen beim Beklagten am 28.12.2021 um 00.09 Uhr, reichte die Klägerin Vordrucke zur Umsatzsteuer 2010 ein, die sie handschriftlich auf das Jahr 2019 geändert hatte. Darin erklärte die Klägerin Umsätze zum allgemeinen Steuersatz i.H.v. 580 €, Umsatzsteuer darauf i.H.v. 110,24 € sowie abziehbare Vorsteuerbeträge i.H.v. 114 €. Der von der Klägerin ermittelte Vorsteuerüberhang betrug danach 3,35 €. Eine Gewinnermittlung oder Anlage EÜR wurde nicht übermittelt.
Nach Hinweis auf die nicht fristgerechte Erfüllung der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen und die immer noch fehlende Gewinnermittlung wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 28.2.2022 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am Montag, den 4.4.2022 per Fax Klage erhoben. In ihrem Fax hat sie die Anträge angekündigt, die Einkommensteuer 2019 sowie die Umsatzsteuer 2019 ;auf null Euro herabzusetzen“. Unter Vorlage einer Ablichtung einer notariellen Unterschriftsbeglaubigung vom 21.6.2022 hat sie später dargelegt, ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) lasse noch auf sich warten.
Zur weiteren Begründung hat sie ausgeführt, dass "die Schätzungen“ des Beklagten hinsichtlich ihres Einkommens mit einem Betrag i.H.v. 30.800 € sowie der von ihr getätigten Lieferungen und Leistungen mit einem Betrag i.H.v. 23.700 € "in keinster Weise zutrafen“. Sie habe ;keine Einkünfte von 30.800 € oder 23.700 €“ erzielt. Dies werde auch durch ihre Kontoauszüge bewiesen. Zum Nachweis reichte sie "zum Beispiel“ sämtliche Kontoauszüge eines Girokontos bei der Z-Bank A-Stadt für das gesamte Jahr 2019 ein. Ihre weiteren Kontoauszüge der Konten bei der Y-Bank und der X-Bank sähen genauso aus. Diese Auszüge für das komplette Jahr werde sie noch nachreichen.
Ihre Steuererklärungen für die Streitjahre würden in wenigen Tagen durch einen Steuerberater erstellt und dann im Verfahren nachgereicht. Aufgrund privater Umstände, dem Todesfall ihrer Mutter im Februar, ihrem eigenen Gesundheitszustand und weiterer Umstände habe sie die Erklärungen bislang nicht einreichen können. Dies werde jetzt kurzfristig geschehen.
Letztlich werde der Beklagte ;sämtliche vereinnahmten Gelder für das Jahr 2019 wieder zurückzahlen“ müssen.
Nachdem die Klägerin – auch unter Hinweis darauf, dass die eingereichten Kontoauszüge eines Girokontos keine Steuererklärung ersetzen können – erfolglos zweimal zur Abgabe der Steuererklärung bzw. zur näheren Begründung ihrer Klage aufgefordert worden war, hat die Berichterstatterin die Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 1.6.2022 unter Fristsetzung bis zum 1.7.2022 gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, das Klagebegehren zu bezeichnen und gemäß § 79b Abs. 1 FGO diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung sich die Klägerin im Verwaltungsverfahren beschwert fühlt. Das Schreiben enthielt einen Hinweis...