Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für Arzneimittel als außergewöhnliche Belastung: Abzugsverbot für Diätverpflegung – Privilegierung von Arzneimitteln i. S. des AMG – Auskunft des BfArM als geeignetes Beweismittel – Vereinbarkeit des AMG mit EU-Recht
Leitsatz (redaktionell)
- Aufwendungen für Arzneimittel i. S. des § 2 AMG unterfallen nicht dem Abzugsverbot für Diätverpflegung nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 14. 4.2015 VI R 89/13, BStBl II 2015, 703).
- Die Einholung einer amtlichen Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist ein geeignetes Beweismittel zur Klärung der Arzneimitteleigenschaft i. S. des § 2 AMG.
- Der Senat sieht keinen Anlass, die Frage der zutreffenden Umsetzung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel durch das AMG zum Gegenstand einer Vorlage an den EuGH zu machen.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 Sätze 1, 3; AMG § 2; AEUV Art. 267, 288; RL 2001/83/EG
Streitjahr(e)
2010
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung von ärztlich verordneten und von Apotheken bezogenen Präparaten bei der Einkommensteuer für das Streitjahr 2010. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin leidet an einer chronischen Stoffwechselstörung. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte die Klägerin u. a. die Berücksichtigung von Aufwendungen i. H. von 706,55 Euro als außergewöhnliche Belastung für von ihr eingenommene Präparate.
Es handelt sich im Einzelnen um die Mittel
- Benfotiamin (Milgamma),
- Gelovital (Vitamin A und D),
- Vigantoletten (Vitamin D),
- Cefasel als Selen,
- Biotin,
- Vitamin B2 laktosefrei,
- Adenosylcobalamin (Vitamin B12 ohne Cyananteile),
- Kalzium und Vitamin D,
- Vitamin C als Kalzium ascorbat,
- Mischpräparat Metabolic 4-B-Komplex mit Folsäure Benfotiamin, Vitamin B12 als
Adenosylcobalamin und Biotin.
Der Beklagte lehnte die Berücksichtigung ab (Einkommensteuerbescheid vom 1. September 2011). Der Einspruch der Kläger blieb insoweit erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 17. September 2012).
Gegen die Einspruchsentscheidung haben die Kläger im Verfahren 9 K 3744/12 E Klage erhoben mit dem Begehren, den Einkommensteuerbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2012 dahin abzuändern, dass Aufwendungen i. H. von 706,55 Euro zusätzlich als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Sie haben dazu vorgetragen:
Die Aufwendungen seien als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Es handele sich um Krankheitskosten, die zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit aufgewendet würden, und die typisierend als zwangsläufig berücksichtigungsfähig seien. Die Aufwendungen seien medizinisch indiziert, weil nicht nur das Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung, sondern jedes diagnostisch oder therapeutische Verfahren erfasst werde, dessen Anwendung im Erkrankungsfall - wie hier - hinreichend gerechtfertigt sei.
Der Beklagte, der Klageabweisung beantragt hatte, hat vorgetragen:
Die Aufwendungen könnten als Kosten für eine Diätverpflegung im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kraft Gesetzes keine Berücksichtigung finden. Die Aufwendungen seien der Klägerin für zusätzliche Nährstoffe entstanden.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 15. Juli 2013 die Klage als unbegründet abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 14. April 2015 (VI R 89/13, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2015, 703) auf die Revision der Kläger das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Der Leitsatz lautet: „Aufwendungen für Arzneimittel i. S. des § 2 AMG (Anm.: Arzneimittelgesetz) unterfallen nicht dem Abzugsverbot für Diätverpflegung nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG. Sie sind als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen, wenn die Medikation einer Krankheit geschuldet und deshalb ärztlich verordnet worden ist. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige wegen dieser Krankheit zugleich eine Diät halten muss, steht dem Abzug nach § 33 Abs. 1 EStG nicht entgegen.” Der BFH hat bestimmt, dass das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang festzustellen habe, ob es sich bei den eingenommenen Präparaten um ärztlich verordnete Arzneimittel i. S. des § 2 AMG handelt.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 28. Juli 2016 Beweis durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingeholt, ob es sich bei den streitbefangenen Präparaten um Arzneimittel i. S. des AMG handelt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Stellungnahme des BfArM, Eingang bei Gericht am 5. September 2016, Bezug genommen.
Im zweiten Rechtsgang tragen die Kläger vor:
Die Tatsache der Zulassung durch das BfArM möge ein Indiz für die Beurteilung einer Substanz als Arzneimittel i. S. des AMG sein, beantworte die Fragestellung abe...