Entscheidungsstichwort (Thema)
Abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
- Die auf den Nachlassanteil eines Miterben bei strikter Anwendung des Stichtagsprinzips entfallende Erbschaftsteuer kann aufgrund dessen tatsächlich fehlender Bereicherung durch den Erwerb von Todes wegen unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie (unzulässiger Steuerzugriff bei übermäßiger Belastung) im Wege der abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen auf 0 € herabzusetzen sein, wenn dieser erst nach langjährigem Streit zwischen anderen Erbprätendenten, die sich zwischenzeitlich Zugriff auf den Nachlass verschaffen konnten, mit hinreichender Zuverlässigkeit und Gewissheit Kenntnis von seinem unangefochtenen Erbschaftserwerb erlangt, aber infolge der Mittellosigkeit dieser Erbprätendenten keine Vermögenswerte aus dem Nachlass mehr erlangen kann.
- Das Unterlassen des Hinwirkens auf Maßnahmen zur Sicherung des Nachlasses durch das ggf. insoweit zu einem Tätigwerden von Amts wegen verpflichteten Nachlassgericht schließt eine solche abweichende Festsetzung nicht aus.
Normenkette
AO § 163 Abs. 1 S. 1; ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1, § 11; GG Art. 14 Abs. 1; BGB § 1960
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Erbschaftsteuerfestsetzung und deren abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen.
Der Erblasser A errichtete am 27.1.2005 ein handschriftliches Testament, mit dem er seine Mutter B , C - Klägerin des Verfahrens 4 K 3194/19 Erb - und den Kläger zu gleichen Teilen zu seinen Erben einsetzte. Der Erblasser verstarb in… 2006.
Im August 2006 beantragten B und die seinerzeit bereits im Ausland wohnende Schwester des Erblassers, D , beim Amtsgericht (AG) Z-Stadt , ihnen als gesetzliche Erbinnen einen Erbschein nach dem Erblasser zu erteilen. Da dem AG Z-Stadt seinerzeit das handschriftliche Testament des Erblassers vom 27.1.2005 noch nicht bekannt war, erteilte es B und D am 4.9.2006 einen Erbschein, nach dem der Erblasser von diesen zu Anteilen von jeweils 1/2 beerbt worden ist.
Nachdem das AG Z-Stadt die letztwillige Verfügung des Erblassers vom 27.1.2005 eröffnet hatte, zog es den erteilten Erbschein mit Beschluss vom 9.3.2007 ein. Auf die hiergegen von B und D eingelegte Beschwerde hin hob das Landgericht (LG) Y-Stadt den Beschluss vom 9.3.2007 auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung über die Einziehung des Erbscheins an das AG Z-Stadt zurück. In der Sache stand die Testierfähigkeit des an einer Suchterkrankung leidenden Erblassers bei Abfassung des handschriftlichen Testaments im Streit.
An B und D wurden im November 2013 nach einem am 31.7.2013 vor dem LG X-Stadt abgeschlossenen Vergleich über einen dem Erblasser zustehenden restlichen Pflichtteilsanspruch nach seinem in… 2004 verstorbenen Vater noch Beträge von 125.000 € und 375.000 € ausgezahlt.
C beantragte im Mai 2014 beim AG Z-Stadt , einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, dass der Erblasser zu jeweils einem Drittel von ihr, B und dem Kläger beerbt worden sei.
Das AG Z-Stadt zog den B und D am 4.9.2006 erteilten Erbschein nach Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme mit Beschluss vom 6.10.2014 ein. Hiergegen wurde Beschwerde eingelegt.
B meldete sich am 24.10.2014 mit einem Wohnsitz im Ausland von ihrem früheren Wohnort in X-Stadt ab.
Das AG Z-Stadt ordnete mit Beschluss vom 18.11.2014 die Sicherstellung des am 4.9.2006 erteilten Erbscheins an. Die Beschwerde der B und D gegen die Einziehung des ihnen erteilten Erbscheins durch das AG Z-Stadt wurde zurückgewiesen. Die Einziehung wurde letztlich am 26.9.2016 rechtskräftig. Das AG Z-Stadt erteilte alsdann am 18.11.2016 einen Erbschein, nach dem der Erblasser von B , C und dem Kläger zu jeweils einem Drittel beerbt worden ist.
Steuerberaterin E , die von B beauftragt worden war, übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 25.1.2017 eine Kopie eines Erbschaftsteuerbescheids des Finanzamts…in X-Stadt vom 18.1.2018, aus dem sich ergab, dass dem Erblasser nach dem Tod seines Vaters in… 2004 ein Pflichtteilsanspruch zugestanden hatte und auf Grund eines am 31.7.2013 abgeschlossenen Vergleichs noch ein restlicher Pflichtteil von 250.000 € dem Erwerb des Erblassers von Todes wegen hinzugerechnet worden war.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 18.12.2018 gegen den Kläger 28.221 € Erbschaftsteuer fest. Dabei ging er von einem Wert des Erwerbs von Todes wegen von 127.943 € aus. Als Nachlassgegenstände berücksichtigte er Guthaben bei der …B ank W-Stadt …von insgesamt 195.074 € sowie einen Pflichtteilsanspruch nach dem vorverstorbenen Vater des Erblassers von 250.000 €.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Ferner beantragte er hilfsweise, die Erbschaftsteuer gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € festzusetzen. Zur Begründung trug er vor: Er habe aus dem Nachlass nichts erhalten, weil B und D diesen sich auf Grund des ihnen erteilten Erbscheins angeeignet und bis spätestens September 2016 voll...