Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung bei Einbindung in ein Umsatz- und Kaffeesteuerkarussell – Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen – Verletzung der Steuererklärungspflicht – Grob fahrlässige Pflichtverletzung
Leitsatz (redaktionell)
- Einer in ein Umsatz- und Kaffeesteuerkarussell eingebundenen GmbH steht kein Vorsteuerabzug aus den von ihren als "missing trader" fungierenden Lieferanten ausgestellten Eingangsrechnungen zu, da sie sich wissentlich an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Steuerhinterziehung beteiligt.
- Für die danach verbleibende Umsatzsteuer auf die Ausgangsleistungen eines Voranmeldungszeitraums haftet der Geschäftsführer der GmbH nach § 69 AO, wenn er seine Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung grob fahrlässig verletzt und dadurch erfolgversprechende Vollstreckungsmaßnahmen des FA verhindert.
- Eine grob fahrlässige Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Geschäftsführer sich lediglich mit einer Oberflächlichkeit, die jegliche Sorgfalt vermissen lässt, über die Tätigkeit und Geschäftsbelange der GmbH informiert und die rechtzeitige Erstellung und Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung weder veranlasst noch kontrolliert.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1 S. 1, § 69 S. 1, § 120 Abs. 2 Nr. 4, § 191 Abs. 1 S. 1; FGO § 102 S. 1; UStG § 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Umsatzsteuerschulden der G. GmbH (nachfolgend: G. GmbH oder G.).
Die G. GmbH wurde unter anderer Firma durch Vertrag vom 26.01.2006 mit Sitz in B. gegründet. Ihr erster Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter war ein mexikanischer Staatsangehöriger, der der deutschen Sprache nicht mächtig und zu keiner Zeit in B. gemeldet oder postalisch erreichbar war. Durch notariellen Vertrag vom 23.12.2008 wurden seine Gesellschaftsanteile in dessen Abwesenheit durch den Vertreter R. an M. veräußert. Dieser übernahm auch die Position des Geschäftsführers.
Nach dem vorliegenden steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht der gemeinsamen Ermittlungskommission der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Z., F. und A. (nachfolgend: I.) vom 22.07.2011 gehörte die G. GmbH zu einem Geflecht aus Firmen, die ein Kaffee- und Umsatzsteuerkarussell betrieben. Neben S. M. lenkte danach vor allem Y. X. die Geschäfte und die Einbindung der G. GmbH in die Karussellgeschäfte.
In diesen Karussellgeschäften kauften unterschiedliche und ständig wechselnde Firmen als sog. „missing trader“ K. und andere Softdrinks sowie Kaffee aus den Niederlanden ein. Diese Ware wurde vom sog. „missing trader“ an eine oder mehrere zwischengeschaltete Firmen, die sog. „buffer“ weiterverkauft. Die dabei an sich fällige Umsatzsteuer führte der „missing trader“ nicht ab. Die nachgeschalteten „buffer“ erfüllten ihre umsatzsteuerlichen Pflichten und zogen insbesondere auch die Vorsteuer aus den Rechnungen der vorgeschalteten „buffer“ sowie des „missing traders“. Auf der letzten Stufe stand der sogenannte Exporteur, der die Ware zurück nach Holland veräußerte. In Bezug auf K. und andere Softdrinks lagen diesen Geschäften meist keine echten Warenbewegungen zugrunde. Es wurden vielmehr nur Rechnungen innerhalb der beteiligten Karussellfirmen geschrieben. Vorhandene Ware wurde vielfach „im Kreis“ herum gefahren.
Im Gegensatz zu den Geschäften mit K. und Softdrinks war die Ware bei den Kaffeegeschäften tatsächlich vorhanden. Hier wurde der Kaffee vom Hersteller aus Deutschland zunächst unversteuert in die Niederlande exportiert. Da es in den Niederlanden keine Kaffeesteuer gibt, war der Export dorthin zunächst nicht mit Kaffeesteuer belegt. Der Kaffee wurde anschließend von einem in den Niederlanden belegenen Dritthändler gekauft. Dieser veräußerte den Kaffee an eine zu den Karussellfirmen zählenden niederländischen Aufkäufer. Von dort wurde die Ware an die französische U. berechnet. Zeitgleich wurden von einem inländischen „missing Trader“ - in Bezug auf die G. GmbH meist die V. GmbH - Rechnungen über eben diesen Kaffee ausgestellt. Von dort wurde an einen zwischengeschalteten bandeneigenen „buffer“ geliefert. Die Rechnungen tragen sinngemäß einen Vermerk „versteuert nach Kaffeesteuergesetz“. Zudem meldete der „missing Trader“ die ausgewiesene Umsatzsteuer i.H.v. 7 % nicht an bzw. führte diese nicht ab. Letztlich wurde der Kaffee auf der letzten Stufe des Karussells durch den sog. „Distributor“ im Inland verbilligt um die Kaffeesteuer von 2,19 € pro Kilogramm auf den Markt gebracht.
Die G. GmbH gab für die Monate Januar und Februar 2009 Umsatzsteuervoranmeldungen unter Geltendmachung von hohen Vorsteuerüberhängen ab. Das Finanzamt B. stufte sie deshalb als Jahreszahler ein und befreite sie durch Schreiben vom 02.03.2009 von der Verpflichtung, ihre Umsatzsteuervoranmeldungen monatlich abzugeben. Gleichzeitig verpflichtete es die G. GmbH dazu, entstehende Umsatzsteuerzahllasten von über 1.000 € pro...